Ein Dichter mit Zivilcourage

Dr. Wolfgang Wessig erinnert an Armin Theophil Wegner (1886-1978) beim Hoyerswerdaer Kunstverein.

Dr. Wolfgang Wessig liest Armin T. WegnerMann weiß nicht was an Armin T. Wegner mehr zu bewundern ist, der Mensch oder der Dichter. Beide zusammen aber sind eine faszinierende Persönlichkeit, die nicht hätte vergessen werden dürfen. Der Theaterwissenschaftler Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz, sorgt seit Jahren dafür, dass aus dem Vergessen von Schriftstellern zumindest ein Erinnern wird. 
Anlass für das Erinnern an Armin T. Wegner ist der Genozid an dem armenischen Volk, der sich am 24. April 2015 zum hundertsten Mal jährt. Man schreibt das Jahr 1915, der erste Weltkrieg sorgt bereits für Gräuel und Schrecken, das Osmanische Reich ist Verbündeter des Deutschen Kaiserreichs. In den Wirren des Krieges bricht der schwelende Konflikt zwischen moslemischen Türken und christlichen Armeniern im heutigen Anatolien erneut aus. 1,5 Millionen Armenier werden Opfer von Massakern. Von deutscher Seite versucht man zugunsten der Armenier zu vermitteln, hält aber aus wirtschaftlichen Erwägungen am Militärbündnis fest. 
Auch nach dem Ende des ersten Weltkrieges besteht in Deutschland kein großes Interesse an diesem Thema. So kommt es, dass ein Bittbrief, den Armin T. Wegner, der die Ereignisse vor Ort als Sanitäter der deutschen Armee erlebt hat, an den US-Präsidenten zur Unterstützung der Armenier schreibt, ungehört bleibt. Seine erschütternden, sprachlos machenden Fotos zeigt er in einem Vortrag bei der Urania 1919, es kommt zu Tumult und Beschuldigung, weil angeblich nicht alle Bilder echt sind, es nicht sein können! Sein aufrichtiger Protest also auch hier verpufft. In seinem Bericht "Der Weg ohne Heimkehr, ein Martyrium in Briefen" ist nachzulesen, was er sah und hörte, Mord und unfassbares Leid, Tausende Menschen in die Wüste getrieben, fast ohne Wasser und Nahrung, Mütter, die ihre Kinder zum Schutz vor Sonne und Kälte in Erdlöcher einbuddeln, bis der Weg ohne Heimkehr furchtbar zu Ende geht. 
1920 veröffentlicht er einen brillant geschriebenen Novellenzyklus: "Der Knabe Hüssein - Türkische Novellen", den er bereits 1917 geschrieben hatte. Auch hierfür wenig Interesse. Heute, nach fast 100 Jahren, ist man überwältigt von den aufrüttelnden Schilderungen, die damals keinen aufrüttelten, vielleicht auch darum, weil jeder mit sich selbst zu tun hatte und fremdes Leid "weit hinten in der Türkei" wenig interessierte. Stefan Zweig äußert sich dazu: Hier hat der ergriffene Mensch ein Land und ein Volk in seiner schwersten Stunde gesehen. 
Dr. Wessig las aus diesem Zyklus die Erzählung "Der Bankier". Der Bankier ist ein reicher Armenier in Bagdad, der das prächtigste Haus inmitten des Basars bewohnt, der eine große Familie ernährt und sein Geld für sich und für wohltätige Zwecke verwendet, geachtet und verehrt. Als Kind in Teheran hatte er erfahren, was es heißt, unter Andersgläubigen zu leben und als minderwertig beschimpft zu werden, bei Massakern in den Jahren 1894/96 hatte er Vater, Onkel und Großvater verloren. Nun ist er selbst ein einflussreicher Händler und Geldwechsler. Doch gerade deshalb ist er einer der ersten, der abgeholt und zum Galgen durch die grölende Menge des Basars getrieben wir. Der Klang der Sprache Wegners bei der Schilderung dieses Szenen erinnert unwillkürlich an die Musik Bachs in der Matthäus-Passion, als die Menge Kreuzige ihn! Kreuzige ihn! schreit. Ein alter Teppichhändler allerdings betet bei diesem Treiben eine Sure aus dem Koran, "das jede Seele, wenn das Paradies nahe gerückt ist, wissen wird, was sie mitgebracht hat." 
Armin T. Wegner wurde 1886 im heutigen Wuppertal geboren, er studierte in Breslau, Zürich und Berlin, promovierte im Fach Jura. 1915 wurde er eingezogen und kam als Krankenpfleger an die russische Front und danach als Sanitätsoffizier nach Anatolien und wird so Augenzeuge des Mordes an den Armeniern. 
Seine Bücher aus jener Zeit bleiben wenig beachtet, bekannt wird er später fast nur als Reiseschriftsteller. Wegner bleibt ein Leben lang ein aufrichtiger Pazifist. Das bezeugt er ein weiteres Mal, als er im April 1933! einen offenen Brief an den Reichskanzler Adolf Hitler schreibt, in dem er die Judenverfolgung verurteilt und die Verdienste von jüdischen Wissenschaftlern, Künstlern, Technikern und Ärzten für das deutsche Volk einzeln aufzählt... Es geht nicht allein um das Schicksal der jüdischen Brüder, es geht um das Schicksal des deutschen Volkes!... Wen wird der Schlag treffen, wenn nicht das deutsche Volk?... Die Schmach und das Unglück, die Deutschland dadurch zu Teil wurden, werden für lange Zeit nicht vergessen sein... Gebieten Sie diesem Treiben Einhalt!
Als Folge davon wandert Wegner durch drei Konzentrationslager und sieben Gefängnisse, wird im Dezember 1933 frei gelassen, emigriert über London und Palästina nach Italien. 1938 kommen seine Bücher auf die Liste des unerwünschten Schrifttums. Daher hält man ihn 1947 in Deutschland für umgekommen. Trotz der späteren Ehrungen mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik und dem Eduard von der Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal scheint Deutschland für ihn nicht mehr lebenswert zu sein, er schreibt nur noch selten und stirbt 1978 ziemlich vereinsamt in Rom. Das Fazit seines Lebens: Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehasst, darum sterbe ich im Exil.

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