Sind die einen mehr als die anderen?

Uwe Jordan liest aus "Farm der Tiere" von George OrwellLiteratur ist für Uwe Jordan nicht nur Erbauung und Vogelgezwitscher im Frühling, sondern auch unangenehme harte Realität. Das war bereits bei Lesungen zu hören über Michail Bulgakow in "Meister und Margarita" und bei dem chinesischen Literaturnobelpreisträger Mo Yan in der Erzählung "Die Schnapsstadt". 
Der Roman Georg Orwells "Farm der Tiere" zeigt nun alle guten und miesen, doch überwiegend miesen Charaktereigenschaften des Menschen auf Tiere übertragen. Eigentlich ein Grund für eine Revolte der Tierschützer, die diese Eigenschaften den Tieren vehement absprechen, sicher zu recht, aber uns Menschen scheinen sie doch sehr vertraut. Vertraut und äußerst aktuell bis heute auch das Thema von Revolution und Machtwechsel in allen Gesellschaftsformen. Von der Antike bis heute lösen Herrscher gewaltsam einander ab und regieren hart und unerbittlich wie der Vorgänger. 
Besonders erschütternd wird diese Umkehrung, wenn dabei die Ideen, mit denen die Revolution angetreten ist, verraten und ins Gegenteil gewendet werden. Dieses Entsetzen erzählt George Orwell in der literarischen Form einer Fabel in "Farm der Tiere". Politischer Hintergrund ist die Ära Stalins nach der Oktoberrevolution in Russland. Die Umstürzler in Orwells Erzählung sind die Tiere auf der Farm von Mister Jones, die bisher für den Farmer arbeiten mussten, nun aber selbst regieren und die Früchte ihrer Arbeit auch selbst genießen können. Als Regierungselite fungieren die Schweine, die inzwischen Lesen und Schreiben gelernt haben, mit dem alten Eber Old Major als Boss. Schwein Napoleon und Schwein Schneeball führen als Rivalen die Regierungsgeschäfte, unverkennbar sind hier Stalin und Trotzki skizziert. Die anfänglich gegebene Verfassung klingt gut: Alle Zweibeiner sind Feind, alle Vierbeiner und alles, was Flügel hat, sind Freund, man trägt weder Kleider wie ein Mensch, noch schläft man in einem Bett, kein Tier darf ein anderes töten, Alkohol ist nicht erlaubt und alle Tiere sind gleich. 
Es geht ein Weilchen gut, dann gibt es Vorschläge, vor allem vom Schwein Schneeball, die Arbeit zu mechanisieren durch den Bau einer Windmühle, die Strom erzeugt und Maschinen antreibt. Napoleon ist dagegen. Da die Mehrheit der Tiere auf der Seite Schneeballs zu stehen scheint, wird dieser von Napoleon und seinen Hunden in einer Hetzjagd kurzerhand abserviert. Von nun an sitzt nur noch einer an der Spitze der Tafel der Schweine, die anstelle der früheren Versammlungen und Abstimmungen regiert, Napoleon. Der Bau einer Windmühle ist nun seine Idee. Es ist an der Zeit, die Verfassung zu aktualisieren, das Verbot des Bettes wird geändert, aus kein Bett wird kein Bett, das mit Leinen ausgelegt ist, aus dem Alkoholverbot wird: kein Alkohol im Übermaß, aus dem Tötungsverbot wird: kein Töten ohne Grund. Der Satz Orwells zur Änderung der Gleichheit aller Tiere ging inzwischen um die Welt: Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere. All animals are equal but some are more equal than others. Im englischen Originaltext ist es in Form von more genauer deutlich gemacht, dass einige eben mehr sind als die anderen. Bildung und Sprache der weniger Gleichen werden auf ein Mindestmaß reduziert, die mehr Gleichen leben nun auch auf Kosten der Arbeit anderer. 
Für die Elite der Schweine wird die Situation allmählich brenzlig, da der Zweibeiner für viele wieder salonfähig wird. Man reagiert mit Veränderungen, die Appelle werden abgeschafft, die Flagge wird geändert, die Farm der Tiere wird in Herrenfarm umbenannt. An der Tafel, die nun Alkohol erlaubt und an der Schweine und Menschen zusammentreffen, entsteht Tumult, nun streiten alle gegeneinander, in den Gesichtern war nicht mehr zu erkennen, wer was ist, Schwein oder Mensch. 
George Orwell (1903-1950) schrieb diesen Roman bereits 1942/43 - als Sozialist - nach einem ereignisreichen und entbehrungsreichen Leben - als Mensch, der die Ideen von Solidarität und Arbeitsaufteilung in einer gerechten Gesellschaft ein Leben lang vertritt. Kaum zu glauben, was ein Dichter visionär leisten kann im Hinblick auf totalitäre Staaten und totalitäre Überwachung. Sein Roman war damals aktuell und ist es bis heute. Gut, dass einer wie Uwe Jordan zum Wiederlesen animiert.

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