Eine Wahrheit , die keiner hören will

Die „Johannespassion“ von Johann Sebastian Bach, dargeboten vom Oratorienchor Hoyerswerda gemeinsam mit dem Bachchor Görlitz und der Neuen Lausitzer Philharmonie unter Leitung von KMD Reinhard Seeliger am 20.03.2005 in der Katholischen Pfarrkirche Hoyerswerda.
Solisten: Katrin Pehla-Döring - Sopran, Beate Rauschenbach - Alt,
Hardy Brachmann – Tenor, Fred Bonitz und Dietrich Greve - Bass.

Es gibt da einen klugen Satz, der lautet etwa so: Die Heutigen sollen das Feuer ihrer Vorfahren weiter tragen, nicht aber ihre Asche bewundern.
Das Feuer, welches Johann Sebastian Bach mit seiner Musik vor 300 Jahren entfacht hat, wurde an diesem Nachmittag von Johannes Leue brillant ergriffen und weiter gegeben. Seiner musikalischen Unrast ist es zu verdanken, dass die Johannespassion mit einem Chor von etwa 100 Sängern in Hoyerswerda zur Aufführung kam. Für das Einstudieren stand nur eine geringe Zeit zur Verfügung, hinzu kommt die Entfernung der beiden Chöre zwischen Görlitz und Hoyerswerda, und trotz allem kann man von einer gelungenen Aufführung sprechen. 
Vielleicht ist es Lokalpatriotismus, aber die Chorpassagen waren für mich die eindrucksvollsten, genau abgestimmt auf den Inhalt durch Präzision und Zusammenwirken der einzelnen Stimmen. Durch das Wechselspiel zwischen laut und leise und die frische Art des Singens hätte man den Inhalt auch ohne Text deuten können.
Bei der Eröffnung durch das Orchester glaubt man sich versetzt in eine Musik aus dem 20. Jahrhundert, man kann sich kaum vorstellen, dass bereits von Bach eine so moderne Musik geschrieben wurde, das Leiden ist musikalisch bereits vorweggenommen. Chor, Solisten und Musiker führen im Wechsel durch die Passionsgeschichte nach dem Evangelisten Johannes.
Herausragend unter den Solisten Hardy Brachmann als Erzähler und Sänger der Tenorarien, der die Geschichte im doppelten Sinne phantastisch erzählte, zum einen durch sein sängerisches Können und eine klare gut verständliche Sprache, zum anderen verlangte die Partie eine enorme physische Anstrengung.
Der sehr bekannte Chor „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“ am Schluss stellte den eigentlichen Höhepunkt des Chorgesangs dar, und was man nicht erwartet hätte, die Wirkung wurde durch den Schlusschoral noch einmal gesteigert. Die Zuhörer spürten, dass das Feuer Johann Sebastian Bachs noch lange nicht verlöschen wird.
Nicht zu überhören sind in der Johannespassion allerdings auch die antijüdischen Tendenzen, die besonders in den kurzen Chorpassagen wie: „“Wäre dieser nicht eine Übeltäter, wir hätten ihn nicht ausgeliefert“; „Nicht diesen, sondern Barabas gebt frei“; „Kreuzige, kreuzige!“
Diese Passagen gehen unter die Haut, man glaubt den Massenwahn eines Volkes in der Neuzeit entfacht, wie die Menge vor Begeisterung und Hass schreit - die Wahrheit von dem, was Jesus gesagt hat, kennen die wenigsten und es will sie auch keiner hören. Ich glaube, würde Bach die Johannespassion heute komponieren, er würde die fast gleiche Musik verwenden, aber einen anderen Text unterlegen, einen der allgemeine Gültigkeit für die Verführung und Verblendung von Völkern durch Ideologien enthält und die Einsamkeit Jesu mehr in den Mittelpunkt rückt und dessen Glauben in stärkerem Maß verkündet.
Zum Glück gibt es aber immer wieder jemanden wie Johannes Leue, der diese Musik in den originalen Fassungen pflegt und uns somit auch die Asche der Geschichte vor Augen führt, die, um mit Lessing zu sprechen, „nicht unser Gedächtnis beschweren soll, sondern unseren Verstand erleuchten“.

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