Hoyerswerda und die moderne Architektur

Hoyerswerda, Südstraße nach der SanierungChristine Neudecks Vortrag zur Architektur der Moderne im 20. Jahrhundert im Schloss Hoyerswerda begeisterte als eine virtuelle Wanderung durch zahlreiche Städte und Länder – von der Sowjetunion bis nach Brasilien, von der Schweiz in die USA, zurück nach Deutschland und Hoyerswerda-Neustadt,. Architektonisch wichtige Bauten und ihre Schöpfer zeigte eine Power-Point-Präsentation mit Zitaten der Erbauer. Sie verdeutlichten deren Anliegen dem Satz des Dichters Volker Braun folgend: “Wenn mich auch sonst nichts freut, ich lob den Augenschein.“ Dieses Ziel erfüllte dieser Vortrag in bewundernswerter Weise. Er rückte mehr als ein Jahrhundert Geschichte der Architektur und des Städtebaus in den Blick, ohne die Zuhörer zu überfordern, ohne sie mit Zahlen und Fachbegriffen zu überfordern, er verdeutlichte Zusammenhänge und verlockte, beim Reisen in andere Länder oder beim Bummeln durch andere Städte die Zeugen jener Geschichte zu entdecken, sich daran zu freuen und vielleicht auch dem eigenen Wohnort und dessen architektonischen Zeugen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er regte auch an, Goethes berühmter Aufforderung zu folgen: „Was du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ 
Die vielfältigen gesellschaftlichen Wandlungen jener Jahre und Regionen bildeten zwar den Hintergrund zahlreicher Ideen, verdeckten jedoch bei der Vortragenden nie das Ziel: Beheimatung von Menschen und Ermöglichen menschenwürdigen Lebens in unterschiedlichenHoyerswerda Wohnkomplex IV Formen. Das wurde auch beim Vorstellen markanter Stationen weltbekannter Architekten und Städtebauer nachvollziehbar. Dabei wurde auch der oft verkannte Unterschied zwischen Architektur und Städtebau deutlich, ohne dass aus der Präsentation einen Monolog mit hochtrabenden Fachbegriffen entstand. Christine Neudeck nahm ihre Zuhörer mit ihrer eigenen Freude am Entdecken gefangen und zeigte an gut gewählten Beispielen sowohl den Wandel des Geschmacks, aber auch das Engagement der Städtebauer und Architekten zum Schaffen von Räumen, und Siedlungen, die Menschen nicht behausen, sondern ihnen das Entfalten eigener Gestaltungswünsche ermöglichen. Die Idee, eine Stadt oder Siedlung von verschiedenen Künstlern Dresden-Hellerau Marktentwerfen und erbauen zu lassen, und doch eine gemeinsam funktionierende Gesamtheit zu schaffen, wie es in einer der ersten Gartenstädte Deutschlands, in Hellerau, dank dem Einfallsreichtum mehrerer Architekten gelang, förderte auch Gemeinschaftsdenken.
Alles dies führte für manchen Zuhörer überraschend, andere bestätigend zu neuer Sicht auf Hoyerswerda und seine Neustadt. Es scheint, hier wurde zu schnell vergessen, dass dies die erste industriell gefertigte Stadt der Welt ist. Für diese schuf erst Professor Richard Paulick, Meisterschüler von Walter Gropius, dem Gründer des weltberühmten Bauhauses in Weimar-Dessau-Berlin, die funktionierende Grundstruktur der Viertel (WK genannt) mit den wichtigsten Einrichtungen der täglichen Versorgung, plus Schulen und Kindergärten. Er verlieh damit - entgegen der anfänglich geplanten, schematischen Aufstellung unzähliger gleicher Kästen auf freiem Feld mit nur an einer Stelle in deren Mitte nebeneinander aufgereihter Flachbauten als Läden - eine Ordnung, die erst urbanes Leben ermöglichte. Das Stadtzentrum R. Paulicks als städtischer Kommunikationsort wurde leider bis 1990 nicht , in Shanghai dagegen Paulicks Masterplan, der auf gleicherHoyerswerda, neuer Stadtpark, Gestaltung Andreas Blume Grundidee beruhte - erfolgreich verwirklicht. Hoyerswerda könnte daher die kleine Schwester jener Großstadt in Asien genannt werden. Zu einer solchen gehören auch wohlgestaltete Freiflächen als Wohnumfeld. Eine Stadt besteht nicht nur aus Häusern. In Sewan Latchinians Dramatisierung von Brigitte Reimanns Roman „Franziska Linkerhand“ heißt es: „So viele Häuser – und wo ist die Stadt?“
Christine Neudeck zeigte – leidenschaftlich, fachlich brillant, poetisch und bildlich überzeugend : Die Neustadt und ihr neuer Zentralpark neben Lausitzhalle und Lausitzcenter atmen den Geist jener Moderne, die Natur und Bau versöhnen wollte. Hoyerswerda war von Bauhausschülern als „grüne Stadt“ geplant.
Dresden-Hellerau Festspielhaus von Heinrich TessenowZu sehen waren u.a. Häuser von Otto Bartning, Hans Scharoun und Walter Gropius in Berlin-Siemensstadt, die Hoyerswerda ähnlich sehen und zum Weltkulturerbe gehören, die Weißenhofsiedlung in Stuttgart, die einst als „undeutsch“ beschimpft und heute bewundert wird, und das Festspielhaus Hellerau von Heinrich Tessenow, der gemeinsam mit anderen Architekten die Gartenstadt Deutschlands schuf. „Allein auf der Basis wirtschaftlicher Erkenntnis kann man keine Stadt bauen“ sagte Richard Paulick und  „Eine tragende Idee muss den Entwurf eines Bauwerkes bestimmen“ kann man vei Hans Scharoun nachlesen. Das gilt sowohl für die Planung neuer Städte als auch für den heute leider notwendigen Rückbau ganzer Siedlungen. Diese müssen urbane Gestalt behalten und städtische Aufgaben - nicht nur des Verwaltens – sondern vor allem der Lebensgestaltung sichern. Die Diskussion zeigte, dass die Hoyerswerdaer Zuhörer ihre Stadt als wichtigen Teil der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts neu und gemeinsam mit dem niederländischen Architekturhistoriker Professor Ed Taverne positiver und anregender sehen lernen können und um deren Zukunft willen müssen.

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