Ein Psalm der Aktualität ist die Arbeit der Literatur - Volker Braun

Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz, stellt Volker Braun, Jahrgang 1939, und dessen neuesten Roman "Die hellen Haufen" beim Kunstverein Hoyerswerda vor. 

Martin Schmidt und Dr. Wolfgang Wessig v.l.

Dr. Wessig nennt Volker Braun, den vermutlich letzten "Arbeiter-Dichter" im heutigen Deutschland. Sein Roman "Die hellen Haufen" stellt deshalb auch die Arbeit als Lebensgrundlage für den Menschen in den Mittelpunkt, in den materiellen und in den daraus resultierenden geistigen Mittelpunkt des Lebens seiner agierenden Figuren. Der Büchner-Preisträger Volker Braun zeigt sich damit durchaus würdig des Vermächtnisses von Georg Büchner, wenn er in seinem Gedicht "Das Eigentum" 1990 die Seiten von Krieg und Frieden vertauscht.
Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN.
Denn genau das war nach 1990 in Bischoferode und im mitteldeutschen Raum zu erleben, als die Paläste, das heißt, das Kapital der ohnehin schon Reichen befriedet und den Hütten der Krieg erklärt wurde, indem man ihnen die Existenzgrundlage nahm. Volker Braun nimmt den Hungerstreik der Kali-Kumpel von Bischoferode 1993 in Verbindung mit der Geschichte "in Deutschlands leerer Mitte", der ausgehöhlten Erde, in der seit hundert Jahren Kupfer und Kalisalze abgebaut wurden und deren Abraum als "Berge unter den Himmel geräumt" worden waren als Anlass für seinen Roman. Er erzählt und philosophiert darüber, was hätte sein können, als die Treuhand die Betriebe 1993 abwickelte, wie sich die Betroffenen hätten verhalten können. In ihrem ehemaligen Land hatten sie gelernt, sich solidarisch anzupassen, der solidarische Kampf aber war ihnen von Partei und Regierung abgewöhnt worden.
Auf eine ganz eigene poetische und lyrische Weise, mit tiefgründigem Witz und in farbigen Bildern und Wortspielen erzählt Volker Braun, wie sich die Ereignisse der Geschichte wiederholen, den schwarzen Haufen des Bauerkrieges lässt er seine hellen Haufen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts folgen, den 12 Artikeln von Memmingen seine 12 Mansfelder Artikel. In diesen fordert er nicht wie vor fast 500 Jahren die Abschaffung von Leibeigenschaft und Aufhebung des Zehnten, sondern: gleiches Recht für alle, das Recht auf Arbeit, Arbeitszeitverkürzung statt Kurzarbeit, realen Lohn für reale Arbeit.
Die vermeintlich hellere Zeit der hellen Haufen verdunkelt sich mehr und mehr, in der Erzählung kommt es zum blutigen Aufstand, das Salz wird im übertragenen Sinn überall in die Wunden gerieben, aber mit wenig Erfolg. "Oben wurden die Konzepte erstellt, unten verwahrten die letzten Kumpel das Grubenfeld. Es war ein Fehler, dass es das Oben und unten gab, die vielen von unten hätten anders verhandeln können. Ihnen wird mit dem Volkseigentum etwas genommen, was sie nie besessen haben. Es war das Eigentum aller, doch wer ist das Volk? Auch das Volk war eine Fiktion." Dieses Thema hatte Volker Braun bereits in seiner Dankes-Rede zur Verleihung des Büchner-Preises 2000 hinterfragt: "Volkseigentum plus Demokratie" sei seine "letzte Verblendung, die herrlichste Einbildung" gewesen. Doch auf den "heißen Brei der Volksdemokratie" folgten die "kalten Schüsseln des Kapitalismus". Denn wenn eine Gesellschaft nicht mehr nach dem Menschen fragt, ist sie unwürdig zu bestehen, eine Revolution, die kein Brot gibt und eine Demokratie, die die Arbeit nimmt, sind keine angemessenen Alternativen. Der Aufstand der hellen Haufen wird von den Regierenden blutig beendet und war ein Aufstand, der hätte sein können, aber zum Glück nicht statt gefunden hat, ist das Fazit der Geschichte und damit auch das des Autors und auch des Referenten Dr. Wessig.
Wenn wir schon die Gegenwart nicht bewältigen können, müssen wir die Zukunft offen halten, sie ist "offen zu halten für Anmut und Mühe", für eine neue Generation. Es ist also ein Gewinn, "Die hellen Haufen" zu lesen und Volker Braun als einen Arbeiter zur Aktualisierung der Menschenwürde zu verstehen, der seine Dichtungen mit viel Witz und Charme fast musikalisch darbietet, eben wie einen Psalm.


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