Kann man einen literarischen Abend zu einem namentlich „unbekannten" Schreiber gestalten? Ja! Das bewies der Kunstverein Hoyerswerda gemeinsam mit Dr. Wolfgang Wessig. Beim Gespräch am Kamin widmete man sich dem Werk eines Lyrikers der Dreißigerjahre: Robert Gilbert.

„Ob ich den Ankündigungen des heutigen TAGEBLATTes gerecht werden kann, wage ich zu bezweifeln. Der Abend wird weder heiter noch besonders» gefühlvoll-volkstümlich. Aber ich hoffe, er wird anregend." Nicht gerade überschwänglich, Dr. Wessigs Publikums-Begrüßung. Das nämlich hatte sich auf einen leichten Abend eingestellt. Und nun das? Doch Dr. Wessig gestaltete, der Prophezeiung zum Trotz, dennoch einen literarischen Ausflug voller Gefühl. Sicher auch ein Verdienst seiner rhetorischen Virtuosität, aber ohne gewisses Sympathie-Empfinden für den „verkannten Künstler" Gilbert wäre dieser Abend so sicher nicht möglich gewesen.

Das Tonbandgerät vor ihm produziert knisternde Schallplattenatmosphäre, dudelt „Das gibts nur einmal, das kehrt nie wieder". Titel wie „Ein Freund, ein Freund, das ist das Schönste» was es gibt auf der Welt" oder „Kathrin, du hast die schönsten Beine von Berlin" hat wohl jeder schon irgendwie einmal gehört... Diese Gassenhauer bescherten Robert Gilbert (1899 - 1978) den größten Erfolg. Dass er ein weitaus breiteres Repertoire an Chansons und Volksliedern schuf, dürfte aber weitestgehend unbekannt sein. Einen solchen Schatz ausfindig zu machen stellte sich für Dr. Wessig als glückliche Zufälligkeit heraus: Die Recherchen, die er im Deutschen Exil-Archiv für einen Sammelband zum Görlitzer Kabarettisten Werner Finck tätigte, ließen ihn über dessen Freund und Gleichgesinnten Robert Gilbert stolpern.

Das Volkslied, der Foxtrott und die Blüte der Goldenen Zwanziger hatten Gilbert zunächst beflügelt, mittels humoriger Chansons zwischen Kunst und Unterhaltung grat-zuwandeln. Kaum eine andere Stadt hätte ihm dabei so viel geistige und kulturelle Anreize bieten können wie das Berlin jener Zeit. Doch wai Berlin auch der Ort, von dem Bedrohung ausging. Mit Brecht`scher Wortkargheit dokumentiert Gilben die nationalsozialistische Machtübernahme: „Die Welt ist aufgebrochen wie ein Pestgeschwür." Seine komödiantischen Gesangstexte gewinnen zunehmend an zynisch-melancholischer Bitternis. Karikaturen wie „Ich gehöre zur Bewegung, auch wenn ich stille sitze" widerspiegeln sowohl Ideologie-Blindheit als auch die erschreckende Verquerung der Charaktere. „Ich bin eine Schreibmaschine. Du bist eine Schreibmaschine" heißt es im „Lied der Tipp fräulein", einem Text über Men sehen, vermaterialisiert und als Automat stupide gehorchend.

„Gilberts Biographie zeigt wie kaum eine andere", betont Wessig, „welch kultureller Verlust mit dem Holocaust einherging". Das Verlangen des Künstlers, die Welt in Bewegung zu setzen, bleibt ungehört. Unüberwindbar die Distanz zwischen dem einstigen Heimatland und dem Exil in das er zu flüchten gezwungen war. „Sie haben mir verjessen. Wer würde mir 'ne Heulorgie widmen nicht mal 'ne Litfasssäule." Hinter der resignierenden Hülle lässt sich versteckte Philanthropie vermuten ohne die Gilbert sicher nicht in Stande gewesen wäre, das Verhalten der Deutschen so seismographisch genau nachzuempfinden. Sein auf saloppe Satzfragmente reduzierte! Sprachgebrauch tut dem Gehalt seiner Aussagen keinen Abbruch, sondern ist vielmehr Ausdruck seiner großstädtischen Denkensart.

Aber alle gesellschafts-politische Kritik, die sicherlich auch als aktuell verstanden werden kann, schafft es nicht, ganz Tragödie zu sein. Gilberts Texte, so Dr. Wessig, „sind Lachen und Weinen in einem". Pointierter Witz gepaart mit satirischen Biss, serviert auf messerscharfer Andeutungen statt tiradenschwerer Ausgestaltung. Und die zwei Stunden stets im Blick: Amaryllis Hippeastrum. Die pfeilartige Pflanzen gestalt im Kaminzimmer des Hoyerswerdaer Schlosses, beißend grün im noch grüneren Übertopf, hoch gerichtet, steif und fest, schnörkellos, ohne Blatt und ohne Blüte: Ritterstern in Ruhephase. Vortrefflicher hätte es nicht passen können!

Zur Verfügung gestellt durch: Sächsische Zeitung


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