Richard Christ liest im Schloss aus seinen "Küstenspaziergängen"

Christ war in Hoyerswerda. Richard Christ. Der freie Schriftsteller und Weltenbummler beschenkte die
Kunstliebhaber mit einer Lesung im Schloss. Nach fünfzehn Jahren Abwesenheit, so der Gastgeber des Abends,
Kunstvereins-Vorsitzender Martin Schmidt, sei es höchste Zeit gewesen, wieder einmal miteinander in Kontakt zu
treten.
Im Gepäck hatte Christ seine "Küstenspaziergänge", einen authentischen Reisebericht, der von der Ostsee nach Goa
in Indien und wieder zurückführt - und das in einer Zeit, in der man hierzulande von solchem Reisen nur träumte.
Während die DDR kurz vor ihrem Zusammenbruch steht - was noch kein Mensch zu erahnen wagt - verlässt Richard Christ
sie. Um nach Indien zu reisen, im Auftrag seines Verlages. Glücklicherweise wird ihm ein Professor zur Seite
gestellt, der das östliche Leben kennt wie seine Westentasche. In dessen Schlepptau eröffnen sich Christ Türen, zu
denen er als "gewöhnlicher" Tourist nie Zugang finden hätte können. So genießt er das Privileg, in eine
fremdartige, faszinierende Kultur einzutauchen, mit ihr eins zu werden.
Mit einer fürs Hörspiel wie geschaffenen Raufaserstimme entführt uns dieser 73-Jährige in seine "Jugendzeit": Wir
fahren vorbei an Kokosnuss-Palmen, Bananenstauden, schneeweißem Sandstrand, smaragdgrünen Meereswellen und bunten
Hütten. Dort lebt es sich wie in einem Traum. Das exotische Lebensgefühl berauscht die Sinne. Christ wird
verzaubert von dieser heiteren Frische: Sie lässt ihn die Zeit vergessen.
Nachrichten kommen zwar täglich, doch es sind welche aus dem Lande. Das Weltgeschehen findet nicht statt. Auch der
eigenartige Ort DDR ist ausgeblendet. Eigenartig, weil erst hier, meilenweit von Zuhause entfernt, in der DDR gern
geübte Phrasen wie Ehrlichkeit, Solidarität, Gastfreundschaft und Bescheidenheit, ihre wahre Bedeutung im Leben
beweisen. Nur ein Beispiel: Sein Kamerad hat vor einigen Jahren ein Stück Land geerbt und verschenkt einfach Teile
davon. "Ich spreche von «Leben». Heute. Hier. Und jetzt."
Dieses Kapitel steht nicht grundlos am Ende von Christs Erzählung. Denn auch diese Idylle hat ein Ende: Mit den
ersten Unternehmern, die an den noch unberührten Stränden das Geschäft ihres Lebens witterten, Fünf-Sterne-Hotels
und Golf-Ressorts schaffen, kommen immer mehr Touristen - und mit ihnen Probleme. Der westliche Einfluss, zu
Anbeginn enthusiastisch willkommen geheißen, enttarnt sich bald. Die Bevölkerung gerät in Abhängigkeit von den
Wirtschaftsmächten. Zwar findet man Arbeit und ist dankbar dafür. Zeitgleich werden jedoch Land und Ehre gestohlen;
Kultur, Natur und Wasservorräte zerstört. Je sichtbarer dies wird, desto stärker fühlt sich Christ hin und her
gerissen. Als ihn in solch einem Augenblick die Nachricht ereilt, in Deutschland sei die Mauer gefallen,
entschließt er sich, zurückzukehren. Überrascht ist er nicht. Nur: "Fühlt es sich so an, wenn eine Epoche zu Ende
geht?" fragt er sich.
Auf eine bizarre Art und Weise waren beide Kulturen für die Ewigkeit gedacht, die der DDR und die Indiens. An die
Stelle der idealistischen Verträumtheit treten nun Spuren von Zynismus und Verbitterung: "Ein Mann verlässt sein
Haus. Und wie er zurück kommt, ist es nicht mehr da. Waren die vierzig Jahre unseres Lebens etwa nichts?" Richard
Christ hat den Schmerz der Ereignisse bis heut noch nicht verwunden. Er resigniert: "Die Zeit arbeitet gegen die
Menschen. Aber mein Freund hat mir einmal gesagt: «Etwas ist zu Ende, Richard. Aber so ist das nun mal. Das Alte
muss zertreten werden, damit Neues entstehen kann.» Die Frage bleibt nur: (Wie) wird es besser?"

Zur Verfügung gestellt durch: Sächsische Zeitung

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