Dr. Wolfgang Wessig stellt die Schriftstellerin Anna Maria Jokl (1911-2001) vor.

Dr. Wessig (rechts) im Gespräch mit den Zuhörern, die immer wieder über seine "Grenzgänge" erstaunt sind.

Dr. Wolfgang Wessig überrascht mit seinen "Grenzgängen" immer wieder, mit Grenzgängen am Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland, und immer geht es um beinahe vergessene Schriftsteller und ihre Schicksale. An diesem Abend wurde die Schriftstellerin Anna Maria Jokl gewürdigt, eine Schriftstellerin, die sechs Mal in ihrem Leben den Lebenskreis wechselte, nicht aus Abenteuerlust oder um ein besseres Leben zu finden, sondern eher umgekehrt, sie wollte bleiben, aber die politischen Verhältnisse zwangen sie zu gehen. 
1911 wurde Anna Maria Jokl in Wien in einem jüdischen Elternhaus geboren, 1927 siedelt ihre Familie nach Berlin über und 1928 arbeitet sie bereits als Journalistin und Drehbuchautorin. Bei der Uraufführung ihres ersten Films „Tratsch“ im Mai 1933 durfte ihr Name bereits nicht mehr genannt werden. Deshalb geht sie mit der ersten Flüchtlingswelle nach Prag ins Exil. Dort findet sie ein geistiges Zuhause im Brecht-Club, in dem namhafte Exilschriftsteller verkehren und hier entstehen ihre wichtigsten Kinderbücher, „Die wirklichen Wunder des Basilius Knox“ - ein Roman über die Physik für Kinder von 10 bis 70 Jahren und „Die Perlmutterfarbe“ - ein Kinderroman für fast alle Leute. Beide Bücher regen zum Denken und Entdecken an, „und geben Kindern Bücher an Stelle von Waffen in die Hand, denn die Jugend will nicht hungern, sie will leben“, wie es Oskar Kokoschka formulierte, der ebenfalls in Prag im Exil lebte. So ist es ein Vergnügen dem skurrilen Erfinder Knox und dem Schusterjungen Hansel in das geheimnisvolle Labor zu folgen und die große Welt der Physik im Kleinen zu erleben, eine Begegnung die durch den Hund Igel zustande kam, der unter das Hundegesetz fiel und getötet werden sollte. Hansel hat ihn davor bewahrt, weil der merkwürdige Herr Knox doch sonst niemanden auf der Welt hat und Hansel dieses Verlassen sein seit dem Tod der Eltern kennt. Die Ähnlichkeit von Hundegesetz und Rassengesetz ist auch für Kinder nicht zu übersehen.
Ebenso nachdenklich stimmt der Kinderroman „Die Perlmutterfarbe“, in dem sich Schüler der A-Klasse eines Gymnasiums den Schülern der B-Klasse überlegen dünken und eine Geschichte von Verstrickung, Bedrohung und Kollektivschuld erzählt wird, die bereits 1937 hellsichtig die Auswüchse des Faschismus ahnen lässt und auch das, was danach kommt. Derjenige, der Lüge und Verwirrung skrupellos benutzt auf seinem Weg nach oben, auf dem Weg zur Macht über andere, heißt Gruber und erinnert sehr deutlich an den Geburtsnamen von Hitlers Vater, Schicklgruber. Auch der Erkennungsruf der A-Klasse ELDSA, der, es lebe die stolze A heißen soll, assoziiert sofort, es lebe die SA! Diese sehr frühe Warnung einer Schriftstellerin vor der Entwicklung im faschistischen Deutschland war für Dr. Wessig Anlass, auf seinen Grenzgängen nach Prag zu schauen und Anna Maria Jokls Kinderbücher in den Mittelpunkt zu stellen. Mit dem Einmarsch der Deutschen 1939 in Prag muss sie wieder fliehen, dieses Mal über Polen nach London, dort lebt sie bis 1950, kommt dann nach Ostberlin, wo die Perlmutterfarbe verfilmt werden soll, wird jedoch noch vorher als angebliche Spionin wieder ausgewiesen, lebt dann in Westberlin, bis sie „in historischer Konsequenz“ nach Jerusalem geht. Dort stirbt sie im Alter von 90 Jahren. Ihre Manuskripte schrieb sie in deutscher Sprache und war ein Leben lang von nichts abhängig, weil sie stark und sensibel zugleich war.
Weitere Werke:
Zwei Fälle zum Thema "Bewältigung der Vergangenheit", „Essenzen“, „ Reise nach London“, „Aus sechs Leben“, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jennifer Tharr.

Eine Veranstaltung des Kunstvereins Hoyerswerda gemeinsam mit dem Beirat für sorbische Angelegenheiten und dem EKuB.

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