Dr. Wolfgang Wessig liest Kalendergeschichten von Johann Peter Hebel bis Bertolt Brecht

Dr. Wessig

Kalendergeschichten sind eine ganz spezielle Form der Kurzgeschichte in der deutschen Literatur. Ursprünglich als Zugabe zu einem Volkskalender geschrieben, der außerdem noch Angaben über Glauben und Wetter, über Kochen und Krankheiten enthielt, mussten sie noch kürzer sein als eine Kurzgeschichte und außerdem spannend und leicht verständlich. Und so entstand eine sehr verdichtete Erzählweise, die von Johann Peter Hebel (1760-1826) zu einem neuen Genre stilisiert wurde. Viele Dichter folgen bis heute diesem Erzählstil. Die Wichtigsten stellte Dr. Wessig vor, vorstellen ist eigentlich zu wenig gesagt, er ließ die Zuhörer den Dichter und seine Geschichte als Einheit erleben und ließ sie eintauchen in faszinierende Begebenheiten, damals so aktuell wie heute. 
Vorgetragen wurden außerdem Kalendergeschichten von Oskar Maria Graf (1894-1967), Bertolt Brecht (1898-1956), Walter Benjamin(1882-1940) und Erwin Strittmatter (1912-1994).
Natürlich fehlte die bestens bekannte Geschichte des Herrn „Kannitverstan“ von Johann Peter Hebel ebenso wenig wie seine Geschichte „Unverhofftes Wiedersehn“ aus seinem „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“. Sehr erfrischend wirkte hieraus die Erzählung „List gegen List“. Zwei Betrüger übergeben einem Goldschmied Gold und Edelstein zur Aufbewahrung in einem Kästlein, dessen Inhalt sie nach der Übergabe in wertlose Dinge tauschen. Als der Goldschmied bemerkt, dass er betrogen wurde, sind die beiden längst über alle Berge. Mit Hilfe eines Freundes, der selbst ein Meisterdieb ist, und mit Hilfe des Schatzkästleins holt er sein Eigentum zurück und die Betrüger sind selbst die Betrogenen. Alles so meisterhaft beobachtet und erzählt, dass nach der Aussage von Walter Benjamin sich nie einer tiefer in eine Geschichte gesenkt hat als Johann Peter Hebel.
Walter Benjamin seinerseits eher Kritiker als Schriftsteller, hat sich auch in diesem Genre versucht und eine reizvolle Kalendergeschichte über ein Wirtshaus im Oybin geschrieben, in dessen unmittelbarer Nähe an einem romantischen Felsen sich junge Leute sehr häufig aus Liebeskummer in den Tod stürzen und so dem Geschäft schaden, denn ein Wirtshaus kann an einer „Schädelstätte“ keine guten Geschäfte machen. Erst nachdem der Wirt ein Starkstromkabel mit der Aufschrift „Vorsicht Starkstrom - Lebensgefahr“ an der Stätte angebracht hat ist das Leben wieder dem Wirtshaus zugewandt und nicht mehr dem Abgrund.
Ähnlich skurril und ernst zugleich kommen auch Geschichten von Bert Brecht und Erwin Strittmatter zu Gehör. Mit einem meisterhaften Vortrag der Geschichte „Mord aus Zufall“ von Oskar Maria Graf zeigte Dr. Wessig eine reife Leistung der Wirkung von Epik. Ein Arbeitsloser, dessen regelmäßiger Aufenthaltsort der Gerichtsaal ist, wettet um das Urteil, das einen Mörder noch heute ereilen wird. Und er wettet auf Freilassung zur Bewährung, was auf gar keinen Fall zu erwarten ist. Aber er kennt den Angeklagten, und dessen tränenreiche listige Rede zu seiner Entlastung ist ein Meisterstück der Erzählkunst und die Wiedergabe durch Dr. Wessig ebenfalls.
Damit waren die Zuschauer endgültig überzeugt, dass es sich lohnt, Kalendergeschichten neu zu lesen.
gemeinsame Veranstaltung des Hoyerswerdaer Kunstvereins mit dem Betrieb für Eigenkultur und Bildung Hoyerswerda.

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