Ein Vortrag von Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz.

Dr. Wessig beim Kunstverein

In ihrem neuen Buch „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ erzählt Christa Wolf vor dem Hintergrund eines Studienaufenthaltes 1992 in Los Angeles von ihrem eigenen Leben in drei deutschen Gesellschaftsformen, sie reflektiert über eigene Schuld, über die Schwierigkeiten des Erinnerns, über selbstzerstörerische Einsichten und über die Hoffnung, mit dem Schreiben das Leben wieder zu finden. Welche Sprache ist jetzt ihre Heimat, da das Vaterland verschwunden ist?

Wie in einem großen Puzzle sind die Erzählsplitter des Romans auf viele Aspekte verteilt, auf die Gesellschaftsordnungen im 20. Jahrhundert, auf Glauben und Irrglauben, auf Empörung und Anpassung, auf Lebensbejahung und Resignation. Ist für sie alle der schützende Mantel, der Overcoat des Dr. Freud, eine Alternative? Oder ist der Dialog mit dem Engel Angelina eine Hilfe für Selbstbefragung, für gescheiterte Träume und Illusionen? Zu lesen ist weiterhin Interessantes über das Leben in Los Angeles, von der Freundlichkeit der Amerikaner, die gar nicht so oberflächlich ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, über alternative Heilmethoden, die immer Mensch und Seele als Einheit meinen, von mexikanischen Einwanderern und indianischen Minderheiten in ihren Reservaten.

Dr. Wessig allerdings wählte, seiner Vorliebe für Grenzgänge folgend, die Kapitel aus, die von der Literatur der deutschen Exilanten in aller Welt und von den Emigranten in Los Angeles im Besonderen erzählen, von Schriftstellern, die ausgegrenzt wurden, die ihr Land und damit auch ihre Sprache verloren hatten. Wie fühlt es sich an, wenn dem Schreibenden die Wurzeln fehlen, geschehen an Tausenden von Intelektuellen durch das nationalsozialistische Deutschland, von Christa Wolf in Verbindung mit dem eigenen Schicksal schmerzlich nachempfunden. Eine lange Liste von Namen: Leonhard Frank, Marta und Lion Feuchtwanger, die Brüder Mann, Kurt Götz, Erich Maria Remarque, Ludwig Marcuse, Bertolt Brecht, Paul Merker, Kurt Barthel, Louis Fürnberg und viele, viele weitere. Das Exil lässt sie verstummen. Und was ebenso schmerzlich von ihr empfunden wird, sind die Verhaftungen und Verleumdungen, die oft an den gleichen Personen nach 1945 in Ost und West geschehen, vor allem aber in den Ostblockstaaten während der Stalin-Ära.
Christa Wolf selbst betrachtet ihre Arbeit an dem Roman als eine vorläufig Arbeit mit einem vorläufigen Schluss und der Frage, wohin sind wir unterwegs? Und lässt den Exilanten Heinrich Heine seine berühmte Antwort geben: Ich hatte einst ein schönes Vaterland. Der Eichenbaum wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft. Es war ein Traum.

Gut ausgewählt und brillant vorgetragen von Dr. Wessig vermittelten die Texte ein einprägsames Bild über Intentionen und Gefühle der Schriftstellerin nach der politischen Wende in Deutschland. Mit dieser Lesung ehrte der Hoyerswerdaer Kunstverein Christa Wolf, die seit 1971 diesem verbunden ist.
Eine gemeinsame Veranstaltung des Hoyerswerdaer Kunstvereins mit dem EKuB Hoyerswerda.

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