Neueste polnische Prosa war Thema beim Kunstverein, vorgestellt von Dr. Wolfgang Wessig.

Es gab zwei konventionelle Texte und eine kleine Revolution.Grenzgänge– diese abendliche Reihe des Kunstvereins zur Literatur unserer östlichen Nachbarn ist ein hoch verdienstvolles Unterfangen, das nicht zuletzt von der Vortragskunst des Görlitzer Literaturwissenschaftlers Dr.Wolfgang Wessig lebt, der am Donnerstag besonders in Teil 3 des Abends zu Hochform auflief.

Dorota Maslowska

Am Anfang aber standen zwei eher konventionelle Erzählungen: Olga Tokarczuks (*1962) „Bohnen-Weissagung“ schildert einen Funktionär im kommunistischen Polen, der sich aus Bohnen die Zukunft vorhersagen lässt. Das persönlich und politisch Subversive diese Tuns, die Suche nach Orientierung in solch abergläubischem Humbug (wo man doch den unfehlbaren Kompass des Marxismus-Leninismus hat!) – diese Ironie, dieser Zeitbezug erschließen sich kaum (noch).
Nicht viel besser stand es mit der „Königin der Trauer“, worin Wojciech Kuczok (* 1972) die letzten Stunden einer alten Frau beschreibt, die sich in den Tod träumt. Das war all zu vorhersehbar, auch wenn Kuczok weisheitsgesättigte Sentenzen einstreut: „Einsamkeit ist nicht so schlimm. Einsamkeit wählt man. Zur Vereinsamung wird man verurteilt.“/ „Das Schlimmste am Alter ist nicht die Einsamkeit, das Schlimmste ist das Leben. Dieses nutzlose Leben.“
Beschimpft und preisgekrönt
Aber Star des Abends war die jüngste der drei Vorgestellten: Dorota Maslowska (* 1982). Ihr zweiter Roman, „Paw Krolowej“ (2005/ Deutsch 2007), hat der Schriftstellerin Beschimpfungen hie und den höchsten polnischen Literaturpreis da eingetragen. Die einen werfen ihrer rüden, zuweilen obszönen Sprache das Verächtlich-Machen aller Werte vor; die anderen sehen in der geradezu atemlosen Rhythmik ihres Schreibens, ihres Be-Schreibens der zunehmend vom Sinn entleerten, medial dominierten, von Verweigerung und Egotrips ihrer Protagonisten geprägten Welt polnischer Jugendlicher im Jetzt und Hier eine neue Welt-Literatur voll autobiografischer Bezüge.
Keine Roche, kein Joyce Oder, um es an zwei Namen festzumachen: Die Maslowska stehe vermeintlich zwischen Charlotte Roche und James Joyce. Doch das ist Oberfläche. Charlotte Roche („Feuchtgebiete“) ist ein kleines Pipikacka-Mädchen, das nicht über die anale Phase hinausgekommen ist, die Drei- bis Vierjährige mitunter heimsucht und nun mit kindlichem Stolz herauskräht, was sie mit den Ausscheidungen ihres Körpers anstellt; ein unappetitliches Protokoll, das den Leser peinlich anrührt. Bei Maslowska hingegen ist das Obszöne nicht narzistischer Selbstzweck, sondern Illustration des nicht in herkömmlicher literarischer Sprache zu Sagenden.
Und Joyce? Ein typisches Fragment aus „Finnegans Wake“, hochgelobtes „schwierigstes Buch der Welt“, das auf 628 Seiten die Halluzinationen des scheintoten Ziegelträgers Tim Finnegan ausbreitet, den auf seiner eigenen Totenwache der Whiskey ins Leben zurückruft: „Es wird in Klängen erzählt, die das vullständigen, es in Zeichen so hinzufügen, in Unibärsellen, in Polyglutturalen in jedem hilfsneudrallen Idiom, sordommutig, Blumen-Sprache, ScheltaWorte, SchindZittern, eine komm Coup Biene, eine Po Stute irrte, Straßerab, OhrenStürck und überhaupt alles.“ (Seite 117)

Maslowska hingegen klingt so (ein vulgarismen-freier Abschnitt von Seite11): „Patricia Pitz gefangen in klebrigen Träumen, wie sie nachts flaniert an Meeressäumen, so schön, so schön an ihrem wilden, wilden Strand, aus Banknoten ihr Kleid, die Augen aus Diamant, so schön, so schön wie jene Mädchen, die nie Experimente machen, keine Exkremente und so Sachen, und alle wollen und begehren sie so sehr, fahren ihr stehenden Teils hinterher mit ihrem blank gewichsten Achtzylinder, all diese schicken Technokinder, aber mit Patty iss nich, sie drückt nur «CANCEL VERPISS DICH».“
Spätestens hier muss man Übersetzer Olaf Kühl ein Lob zollen – wie er diese Sprache ins Deutsche gerettet hat, ist bewundernswert. Um das noch deutlicher zu machen, sei an den Titel erinnert: „Paw Krolowej“ ist eine Doppeldeutigkeit, die man sowohl „Der Pfau der Königin“ als auch „Die Kotze der Königin“ verdeutschen könnte; fraglos mit beidem (akademisch) Recht, aber den Sinn des Ganzen eindimensional völlig verfehlt hätte. Kühl entschied sich für „Die Reiherkönigin“. Und liegt, Pfau hin, Pfau her, unbedingt richtig.
„Feuer, meine Herren!“
Man mag sogar noch hineindeuten, dass der unaufhaltsam drängende Fluss der Sprache der Maslowska in seinen wütendsten, wüstesten Kaskaden an den ersten Wortteil erinnert – aber sieht man vom Stück aufs Werk, darf man der Autorin zubilligen, dass sie die Königin ist. Wie lange sie auf diesem Thron verbleiben wird, vermag niemand voraussagen– aber als Momentaufnahme des Lebensgefühls einer Generation (und das trifft wohl nicht nur auf Polen zu), ist die Reiherkönigin derzeit unangefochtene Alleinherrscherin. Oder, um es mit den letzten Worten des Romans zu sagen: „... das ist pure Energie, alle geht die nie. Feuer, meine Herren!“

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