Ungewöhnliche Hellsicht

Uwe Jordan erinnert beim Hoyerswerdaer Kunstverein an Jonathan Swift(1667-1745).

Uwe Jordan liest Jonathan Swift, 2017 beim Hoyerswerdaer Kunstverein.Was fällt uns ein, wenn wir "Gullivers Reisen" hören, vielleicht der Name des Autors, Jonathan Swift, oder dass es eine märchenhafte Erzählung von einem Riesen ist, der in das Zwergenland Lilliput reist? Kann man gelesen haben, muss aber nicht. Oder?
Uwe Jordan klärt auf. Das Buch ist weder ein Märchen, noch für Kinder geschrieben, es ist eine bitterböse Satire auf das Vaterland Jonathan Swifts, das England um 1700. Die "heitere" Satire, die Swift durchgängig als Stilmittel benutzt, trifft des Pudels Kern, den Apparat des Staatswesens, das Swift anprangert, seine Kritik war gestern gültig und ist es in überraschender Weise in vollem Umfang noch heute.
Davon überzeugte Uwe Jordan die Zuhörer beinahe fühlbar.
Da es "Reisen" heißt, ist die Mehrzahl zu vermuten, im Gedächtnis der Nachwelt wurde im Wesentlichen nur die eine Reise zu den Lilliputanern wahrgenommen, die über Jahrhunderte als Kinder- und Märchenbuch, mit süßlichen Illustrationen ausgestattet, verlegt wurde.
Es sind in Wahrheit vier Reisen zu ganz unterschiedlichen Kulturen auf weit entfernte Inseln, die der Schiffsarzt und spätere Kapitän Lemuel Gulliver erlebt und aufschreibt.
Lemuel Gullivers Schiff strandet, am Ende ist er der einzige Überlebende, der sich auf eine Insel retten kann, ins Land Lilliput. Er wird zum Ratgeber im Land. Es herrschen hier staatspolitisch äußerst tugendhafte Sitten: Ein Staat bestraft seine Bürger nicht nur, er belohnt sie auch. Tugenden sind hoch angesehen, vielseitige Tugenden sind Voraussetzung für ein Amt im Staat. Der Nachweis der Tugend ist immer wieder neu zu erbringen, geprüft wird diese beim Tanz auf dem Seil, den ein Staatsbeamter perfekt beherrschen muss. Der Kaiser selbst nimmt die Prüfung vor, er lässt zudem die Prüflinge über seinen Stab springen oder unter diesen hindurch kriechen. Als Belohnung gibt es bunte Bänder von blau bis gelb. Wer ein blaues Band trägt, gilt als besonders tugendhaft. Undank wird hart bestraft. Wer keinen Dank für andere hat, ist nicht berechtigt zu leben.
Wie man sieht, oder besser hört, ein Staatswesen mit hären Grundsätzen, die allerdings nach Gutdünken gehandhabt werden. Das bekommt Gulliver zu spüren, als er einen Brand im Schloss des Kaisers bemerkt und diesen spontan mit seinem Urin löscht. Dank wird nicht gewährt, im Gegenteil, er wird zum Tod verurteilt, seine Tat gilt als Hochverrat. Jonathan Swift liefert mit der Beschreibung der Gerichtsverhandlung Satire vom Feinsten: Der Kaiser in seiner übergroßen Tugend mildert das Todesurteil ab, indem er vorschlägt, dem Angeklagten nur die Augen auszustechen, das wäre eine milde Strafe, denn durch die Augen der Minister sähe er genug, diese täten auch nichts anderes. Jedoch wäre er dann weiter zu ernähren und diese Mengen will man nicht aufbringen, also könnten die Rationen so verringert werden, dass er in Bälde verhungere und sein Skelett als Trophäe aufgestellt werden könne. Woraus folgt: Je größer des Kaisers Milde, desto härter die Strafe.
Glücklicherweise kann Gulliver fliehen und kommt nach England zurück. Weitere Reisen folgen. Auf der Insel Brobdingnag will er sich nützlich machen, indem er den Bewohnern, dieses Mal ist er ein Zwerg unter Riesen, die Wirkung von Schießpulver und den Bau kriegstauglicher Kanonen erklärt. Den König packt das Grauen. Gulliver muss das Land verlassen. Welch merkwürdiges Zeichen von Begrenztheit? Ein Volk von höchst mangelhafter Gelehrsamkeit!
Hohe Gelehrsamkeit dagegen findet er bei seiner dritten Reise zur fliegenden Insel Laputa. Hier gibt es Pläneschmieder und Akademien in großer Zahl. Sie überlegen und experimentieren. Wie viel kann man sparen, wenn die Sprache abgeschafft würde, die Verständigung nur mit dem Vorzeigen von Dingen genügt und Missverständnisse vermieden werden? Es wird geforscht, wie man aus Exkrementen wieder Nahrungsmittel zurückzugewinnt , wie ein Minister verpflichtet werden könnte, zum Wohl der Menschheit zu wirken. Sie schmieden seit Jahren und haben dabei vergessen, ihre Äcker zu bestellen und stehen nun vor dem Ruin.
Noch drastischer schildert Jonathan Swift die Erlebnisse seines Protagonisten auf der Insel Houyhnhnms. Hier sind die Pferde weise Lebewesen, die Yahoos aber, die Menschen, das Übel der Natur, deren Auslöschung ein Segen für das Universum wäre.
Welch eine Kaskade aus Phantasie, beißendem Spott und fein geschliffener Häme!
Wenn Jonathan Swift auch im Nachwort schreibt, dass seine Reiseberichte klüger und weiser machen sollen, verzeihen ihm seine Landsleute diesen Zynismus nicht. Es wird geglättet und geschönt, das meiste tot geschwiegen.
Dank an Uwe Jordan, der markante Texte klug auswählte und bravourös vortrug.

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