Vortrag und Lesung von Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz, über den Lyriker und Erzähler Max Herrmann Neiße (1886-1941) unter dem Motto: „Ich bin berühmt und doch unbekannt“

Der Begriff Heimat wird von vielen Schriftstellern reflektiert. Und meist klingt Wehmut mit, weil die Heimat am meisten in der Fremde fehlt und wichtiger wird als zu Hause. Dieses zu Hause aber wurde unerwünschten Bürgern in Deutschland während der Herrschaft des Nationalsozialismus verwehrt.
Kaum einer hat den Verlust der Heimat im Exil so gefühlt wie Max Herrmann Neiße. Den Namen Neiße hatte er sich nach seinem Geburtsort in Oberschlesien, dem heutigen Nysa, zugelegt. Er lebte in Neiße und Berlin. Bereits 1933 ahnte er, dass für ihn, der körperbehindert und ein weitsichtiger kritischer Schriftsteller war, aber kein Kämpfer, sondern einer mit sanfter Stimme, das Bleiben in Deutschland tödlich sein würde. Nach dem Reichstagsbrand 1933 verließ er Deutschland und emigrierte in die Schweiz, dann über Holland und Frankreich nach London. Das Exil aber wurde für ihn gleichermaßen tödlich.
Max Herrmann Neiße war Lyriker und Erzähler, seine Verse erklingen wie Melodien und haben einen ganz eigenen poetischen Rhythmus. Wie soll einer, der die deutsche Sprache so verinnerlicht hat, in einer fremden Sprache denken und dichten? Seine Erzählungen waren von Weitsicht innerhalb der deutschen Mentalität und Politik geprägt. Was soll einer im Exil über Deutschland schreiben, wie viel weniger noch kann er differenziert über sein Exilland schreiben, dass ihm Bürgerrechte und Freiheit gewährt? Seine Verse hierzu: „Wie haben sie mein Dasein ganz zerstört… und mein Wort hat keinen Widerhall.“
Max Herrmann Neiße stirbt 1941 in London. Seine Frau Leni, die übrigens von außergewöhnlicher Schönheit war, hat viele seiner Werke postum herausgegeben und trotzdem wurde er vergessen.
Dr. Wessig brachte als Transporteur und als talentvoller Vorleser den Zuhörern das dichterische Werk von Max Herrmann Neiße in anregender Weise nahe und schilderte sein Wirken im prominenten Freundeskreis, zu dem Paul Mühsam, Ludwig Kunz, George Grosz, Alfred Kerr, Stefan Zweig und Heinrich Mann gehörten.
Besonders faszinierte die Erzählung: „Die Klinkerts“, geschrieben im Jahr 1922, eine scharfsinnige und kluge Satire über die deutsche Gesinnung der Wilhelminischen Zeit und danach. Joseph Klinkert ist stolz auf seine Arbeit als Kutscher in einer Brauerei, in der er von morgens bis abends schuftet und sich über das Lob des Chefs freut, dem er auch im Sonntagsanzug treu und ergeben dient. Vom Kriegsdienst wird er durch seinen Brotherrn freigestellt, dafür leisten seine Töchter ihre Dienste den Soldaten. Sein Cousin Bruno ist stolz darauf, dass sein Sohn für Kaiser und Vaterland gefallen und Deutschland im Vormarsch ist. Die Sozialdemokratische Partei, der sie beide nunmehr angehören wird von einem katholischen Priester geleitet und Liebknecht ist für sie nur ein Hanswurst. Als in Berlin nach der Revolution die Republik ausgerufen wird, bekreuzigen sich die einen, die anderen sagen: Auch gut. Die Brauerei arbeitet jetzt unter dem Juniorchef, die Klinkerts leisten weiterhin ergebene Dienste und Deutschland begibt sich in die alten Strukturen zurück, „weil die Klinkerts nicht so bald aussterben werden, denn sie sind eine weit verbreitete Art“.

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