Vortrag von Dr. Sigrid Töpelmann, Berlin zur Prosa von Christoph Hein: „Ich bin ein Schreiber von Chroniken“

Christoph Hein

Es gibt zwei Möglichkeiten eine Chronik zu schreiben. Die eine dient im Wesentlichen der Information, die andere aber regt zum Nachdenken an. Zum Nachdenken gleich in mehreren Ebenen wird man bei Christoph Hein verführt. Seine Geschichten sind meist sehr simpel und einfach erzählt, das aber ist nur die Oberfläche. Bei näherem Hinsehen aber erweisen sie sich als Denkanstöße mit vielen Facetten. 
Dr. Sigrid Töpelmann brachte diese Besonderheit Christoph Heins den Zuhörern auf eine sehr einfühlsame und spannende Art nahe. Sie stellte vorzugsweise die Prosa in den Mittelpunkt ihrer Reflexionen und erwies sich wieder einmal als kluge und kundige Literaturkennerin.
Christoph Hein ist 1944 als Pfarrerssohn in Schlesien geboren, aufgewachsen in Bad Düben, welches als der Ort Guldenburg in seiner Dichtung auftaucht, der Vertriebene nicht haben will und der als Synonym für Ereignislosigkeit und Langeweile steht. Nach vielen Jobs in unterschiedlichen Berufen und einem Abitur an der Abendschule konnte er ein Studium in Leipzig beginnen. An der Volksbühne Berlin erhält er die erste feste Anstellung, kann dort seine ersten Stücke aufführen, wird allerdings immer wieder mit Hindernissen und Verboten konfrontiert. Seit 1979 lebt er als freier Schriftsteller in Berlin.

Dr. Sigrid Töpelmann

Mit Sigrid Töpelmann tauchte man nun ein in die vielen Erzählungen und Romane, die alle irgendwie mit Vertrauen und Gerechtigkeit zu tun haben. Ein Hauch von Michael Kohlhaas ist immer präsent, so wenn es um „Horns Ende“ durch Selbstmord in der Stadt Guldenburg geht, wenn es im „Tangospieler“ um Heinz Dallow geht, der sich nach Ausgrenzung und Ungerechtigkeit in der DDR anpasst, wenn es bei dem „Napoleonspiel“ um Machtspiele und um die legitimierte Ungerechtigkeit der Reichen geht, denn die „Gleichheit des Einzelnen vor dem Gesetz wird immer manipuliert“. Alles wird an Hand von kleinen Geschichten erzählt, ohne Pathos, aber detailgenau wie eine Chronik. Unterhalb der äußeren Schale hingegen gärt es und der Leser wird gezwungen, seinen Verstand zu benutzen. Sehr eindruckvoll schildert Christoph Hein die Brüche im Leben des „Willenbrock“, der vom arbeitslos gewordenen Systemkritiker in der DDR zum Gebrauchtwarenhändler aufsteigt, reich wird und durch zwielichtige Überfalle alles wieder verliert. Wer verschafft ihm Recht, wenn nicht seine Pistole? Ebenso ist das Leben des Gymnasiallehrers Grams aus den Fugen geraten, nachdem sein Sohn als Terrorist in Bad Kleinen ermordet wurde und keiner für Aufklärung und Gerechtigkeit sorgen will. Ihm ist das Weltbild von Recht und Ordnung in seinem Staat abhanden gekommen.
Christoph Hein will mit literarischen Mitteln als objektiver Chronist die „Verhältnisse zum Tanzen“ bringen, das heißt, wir als Leser sollen hinter die Kulissen schauen und das Verantwortungsbewusstsein niemals dem höheren Interesse eines Staates, gleich welchen Systems, unterordnen.

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