Michel G. Fritz und die Kunst des Erzählens
Zur Generation der jüngeren Schriftsteller in Deutschland zählt Michel G. Fritz, der zudem unter den Bücherliebhabern und Literaturkennern als einer der besten Erzähler in deutscher Sprache geschätzt wird. Umso mehr freuen sich seine Gesprächspartner im Hoyerswerdaer Kunstverein, diesen Autor mit seinen jeweils neusten Büchern zu Gast zu haben. Dieses Miteinander währt bereits mehr als ein Jahrzehnt, wie der Gedankenaustausch vor und nach jeder Lesung beweist. Offensichtlich kann man sich nur schwer voneinander trennen, zu viel gibt es zu fragen und zu berichten. Dazu tragen die Bücher des Autors bei, dazu seine Beiträge in verschiedenen Zeitungen, die stets Nachdenkenswertes zu Zeit und Ereignissen über andere Länder berichten.
Michael G. Fritz besuchte kürzlich Israel, vor der einer früheren Lesung Venedig - und wusste lebhaft davon zu erzählen. Seine Bücher widmen sich nicht an touristischen Attraktionen, Begegnungen mit Zeitgenossenen prägen seine Bücher. Am 28 Januar stand der Roman „Ein bisschen wie Gott“, der kürzlich im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale erschien, im Mittelpunkt von Lesung und Gespräch. Der Titel, so seltsam er manchem erscheinen mag, beschreibt das Erleben einer Frau, die vor Monitoren den Ablauf auf einem Berliner S-Bahnhof beobachten muss, um Unregelmäßigkeiten, Gefährdungen oder Störungen schnell melden zu können. Dabei überrascht sie, dass ihr Mann auf einem der Bahnsteige auftaucht, dort offensichtlich wartet, um sich dann mit einer ihr fremden Frau in ein Gespräch zu vertiefen und nach längerer Zeit sich per Kuss von ihr zu verabschieden. Dieses Geheimnis überrascht die Frau, ihr Mann erzählt ihr - trotz vorsichtig gestellter Fragen – nichts von dieser Begegnung, während sie ihm ihre Beobachtung verschweigt. Unbekanntes wächst zwischen ihnen langsam, aber zunehmend. Sie wartet in den nächsten Tagen am Monitor vergeblich auf ähnliche Begegnungen. Der Autor lässt die Erzählerin sich an Kindheit, von Schulzeit, an Erlebnissen in Familie, Freundeskreis und der Freizeit erinnern. Das Beobachten unterschiedlicher Verhaltensweisen ihrer Umgebung wird eine ihrer Lebenshaltungen. Sie wagt immer weniger, in ein Geschehen einzugreifen. Das entspricht ihrer Tätigkeit vor den Monitoren. Für diese Haltung prägte Michael G. Fritz den Begriff „ein bisschen wie Gott“, da dieser angelblich alles sieht, jedoch nicht direkt eingreift, wie Menschen, die an ihn glauben, es sich gelegentlich wünschen. Das Wandern durch die Jahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg – teils in Dresden, teils in Berlin - vermittelt Einblicke in jene schwierige Periode, erinnert Ereignisse, die Familien betrafen, die Freude und Kummer brachten – jedoch oft nicht zu beeinflussen waren. Den Wandel der Städte, der Lebenshaltungen, unter anderem das Errichten der Mauer wie deren Fall, das Zerreißen von Familienbanden schildert die Erzählerin. Es entsteht ein lebensvolles, nachvollziehbares Bild jener Zeit sowohl für Menschen, die sie durchlebten, wie für Generationen, die nur noch davon hören. Der Autor, hier als Erzählerin – auch dies ist ein Geheimnis des Schriftstellers Michael G. Fritz – , fesselte seine Zuhörer, las einige Kapitel, berichtete dazwischen - locker vor den Zuhörern hin und her wandernd - vom weiteren Ablauf, ohne die Lösung des Konflikts zu verraten. Die Spannung blieb erhalten. Anschließend entwickelte sich ein langes, anregendes und inhaltsreiches Gespräch am Kamin. Die Begegnung wurde dem Namen dieser Reihe gerecht. Die Besucher gingen teils fröhlich, teils nachdenklich nach Hause, wohl auch staunend, wie ein Mann glaubhaft in die Haltung einer Frau schlüpfen kann, um überzeugend zu erzählen, worüber andere gern schweigen.