Sensibler Rückblick in eine sich selbst auflösende Zeit

Jan Faktor, rechts, liest 2015 aus seinem Roman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit" beim Hoyerswerdaer Kunstverein. Moderator Mirko Schwanitz, links.Der Schriftsteller Jan Faktor kommt zu einer Lesung zum Kunstverein nach Hoyerswerda. Moderiert wird der Abend von Mirko Schwanitz, der in der Reihe Grenzgänger Schriftsteller aus osteuropäischen Ländern klug und mit hoher Sachkenntnis vorstellt, gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung Bonn.

Jan Faktor malt ein überbordendes Sittengemälde aus Sprache. Er erzählt von drei Jahrzehnten Geschichte der Stadt Prag vom Ende des zweiten Weltkriegs bis in die siebziger Jahre des 20.Jahrhunderts. Dabei blendet sich die Zeit von davor und danach wie von selbst immer wieder ein. 
Geboren 1951 in Prag, hat Jan Faktor diese Zeit sehr intensiv erlebt, bis er 1978 in die DDR übersiedelte. In seinem neuesten Roman "Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder Im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“ kann der Leser diese Zeit nachempfinden. Bereits im Titel ist die überschäumende Sprache des Schriftstellers verbürgt. Ähnlich Groteskes findet sich in den vielen Untertiteln wieder. Georgs Weg von überbehüteten Kindertagen bis zum Jugendlichen, der ausbricht und alle sexuellen und "unsozialistischen" Freiräume in einem sozialistischen Saat nutzt, wird in einer besonders eigenwilligen Form der Satire beschrieben. Man kann die Erzählweise mit einem modernen Touchscreen vergleichen. Vor einem stets präsenten Hintergrundbild werden unzählige Seiten des Lebens dieses Georg hin und her geschoben, von "Lustemmissionen" in allen Facetten ist die Rede, von subversiven Selbstbetrachtungen eines pubertierenden jungen Jan Faktor, Mitte, mit Mirko Schwanitz, rechts. Martin Schmidt, der unermüdliche Initiator der Hoyerswerdaer Kunstvereins, bedankt sich bei den Gästen.Mannes, vom Einfluss in einem Frauenhaushalt und einer sinnlich schönen Mutter, von einem skurrilen weisen Onkel ONKEL, von Motorradrockern und vielem mehr. So ausufernd auch die Erzählung wirkt, es bleibt eine ernste Kritik an einer Zeit, die das meiste zu wünschen übrig lässt. 
Im ersten Hintergrundbild ist das Prag nach dem 2. Weltkrieg zu finden. Der jüdische Frauenhaushalt ist deshalb ein Frauenhaushalt, weil in der Mehrzahl die "Damen nach dem Holocaust übrig blieben". Dass Georg überhaupt auf der Welt ist, verdankt er dem Umstand, dass seine Mutter auf dem Todes-Marsch aus dem Konzentrationslager Christianstadt, heute Krzystkowice, fliehen konnte. Die Familie wohnt danach in Prag in einem Haus mit unendlich vielen Räumen und vielen gebildeten Frauen: "Egal, wohin ich ging, traf ich eine Frau, die mich anlächelte und von mir begeistert war." Der einzige männliche Bewohner dieses Areals aus Schränken und Tüchern ist Onkel ONKEL. Er ist eine bizarre Mischung aus Katholik, Jan Hus und Kommunist. 
Ein zweites Hintergrundbild erinnert an die Zeit des Prager Frühlings und an den Einmarsch der Armeen des Warschauer Pakts. Die Jugendlichen protestieren auf ihre Weise mit Ignoranz und grenzenloser Überheblichkeit, was interessiert, sind die Beine der Mädchen, deren erwachende Sexualität, ihre pausenlosen frechen Gespräche und westliche Rockmusik. 
Die siebziger Jahre bilden den dritten Hintergrund. Sprache wird ebenso vergewaltigt wie das Denken. Wahr ist nur noch ein Sportbericht, wahrscheinlich wahr ist der Wetterbericht und unwahr sind alle politischen Kommentare. Von privatem Interesse bleibt nur noch Rundfunk und Fernsehen aus Österreich. 
Jan Faktor ist sehr zur Freude der aufmerksamen Zuhörer ein präziser Beobachter, er beschreibt menschliche Gesten und Wesenszüge, die man normalerweise gar nicht wahrnimmt und wünscht sich, dass viele Leser weiteres Beachtenswertes in seinem Buch finden.

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