Der Mensch sollte dort enden, wo er geboren wurde

Dr. Wolfgang Wessig liest Jaroslav RudisDr. Wolfgang Wessig, Görlitz, stellt den tschechischen Autor Jaroslav Rudiš und dessen Roman "Grandhotel" vor. Die Textstellen liest er gekonnt bühnenreif.

Ein beliebtes Thema in der tschechischen Literatur ist die Beschreibung von Außenseitern der Gesellschaft, die durch Witz und tiefgründige, unverfälschte Menschlichkeit den Leser berühren. Ihr Einfluss auf den Gang der Dinge ist gering, aber oft von unfreiwilliger Komik und letztendlich mit großer Wirkung. Dr. Wessig stellte bereits Bohumil Hrabal vor und verwies auf dessen Ähnlichkeit mit Karel Capek, deren Romanhelden unvergesslich sind. 
Eine wunderbare Erzählung eben dieses Genres schrieb der junge tschechische Autor Jaroslav Rudiš mit dem Titel "Grandhotel". Geboren wurde er 1972 in Turnov, studierte in Liberec, Zürich und Prag, arbeitete als Journalist in Berlin und Prag und ist nunmehr freier Schriftsteller in Prag. Neben Romanen verfasst er Theaterstücke, Hörspiele und sogar Comics, alle mit einer kritischen Sicht auf die jüngste Geschichte Europas. Sein bevorzugtes Thema ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit den Gräueln von Gewalt und nachfolgender Vertreibung.
Was ihn besonders macht, ist sein lebendiger, extravaganter Stil und seine überschäumende Phantasie, die die Dinge auf den Punkt bringen und dabei keinen beschämen oder verletzen. 
Im "Grandhotel" auf dem Ješted, "das sich nach oben in die Unendlichkeit ausbreitet", lebt und arbeitet als Faktotum ein Mann namens Fleischman. Und so beginnt auch der Roman: "Ich heiße Fleischman." Das Wort Fleisch kann von Fruchtfleisch oder auch anderswo herkommen, natürlich auch von wirklichem Fleisch, ist zu erfahren und die Wortendung "man" könnte einen wirklichen Mann bezeichnen, dem ein n verlorenging oder eben auch etwas anderes. Seinem Hotel zu Füßen liegt die Stadt Liberec, die einmal Reichenberg hieß und davor noch unendlich viele andere Namen trug, allerdings reich war sie nie, aber mit Sicherheit fühlten sich seine Bürger reich und tun dies bis heute. Einer von denen ist Fleischman, einen Vornamen hat er nicht oder er hat ihn einfach vergessen, er lebt mit Panikattacken und eine Frau hatte er auch noch nicht. Er liebt nur die Wetterfee aus dem Fernsehen. "Frau Doktor", deren psychologische Ratschläge den gesamten Roman durchwehen, versucht, ihm Ängste und Minderwertigkeitskomplexe zu nehmen. Was Fleischman jedoch perfekt beherrscht, sind alle Arten und Bewegungen von Wolken und das daraus ablesbare Wetter, seine Art von erfülltem Leben.
In seinem Hotel trifft Fleischman immer wieder auf schräge Typen, die ihm ihre Geschichten erzählen oder ihn irgendwie brauchen. So lernt er auch den Rentner Reinhard Franz kennen, der aus Deutschland kommt und Fleischman in seine skurrilen Absichten einweiht. Er erklärt ihm eindringlich, dass der Mensch dort enden sollte, wo er geboren wurde und er deshalb eine wichtige Mission erfüllen müsse. Er sei Pilot bei der deutschen Wehrmacht gewesen, der er am Ende wegen Untauglichkeit gar nicht war, aus Liberec nach dem Krieg vertrieben worden, was wiklich so war, und hätte sich mit zwei Freunden, Rudi und Alois, in der Jugendzeit ewige Freundschaft geschworen. Nun sei er auf dem Weg, die Asche seiner beiden Freunde an den Ort ihrer Geburt zurückzubringen und Fleischman müsse ihm dabei helfen, denn... der Mensch sollte dort enden, wo er geboren wurde. Die Asche hatte er unter Gefahr für sein Leben auf deutschen Friedhöfen in Kaffedosen verpackt und mitgebracht. Mit viel schrägem Humor wird nun der Leser Zeuge dieser erneuten Beerdigungen, doch lesen Sie selbst. Es lohnt sich. Schon deshalb, weil das Thema Vertreibung selten so locker und trotz alledem so anrührend und mitfühlend erzählt wird.

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