Feridun Zaimoglus „Evangelio“ - ein Denkanstoß

Cover zu dem Roman "Evangelio" von Feridun ZaimogluIn der Reihe „Gespräch am Kamin“ des Hoyerswerdaer Kunstvereins gestaltet Uwe Jordan. Der exzellente Literaturkenner, seit vielen Jahren Literatur-Abende, die seinen Zuhörern Bücher nahe bringen, die einerseits zum Weltkulturerbe zählen, andererseits zum Lesen guter neuer Literatur anregen. Mehr als 30 Autoren und deren Bücher stellte er bereits vor. Zu jedem Gespräch am Kamin liegt ein umfangreiches Lesepensum vor. Das spüren die Zuhörer bei jedem Gespräch, dass sich diesen Lesungen anschließt. Die Bücher regen zum Gedankenaustausch an, den der Schriftsteller mit seinem Werk erhofft, dafür schreibt er. Der Vortragende ist ein Mittler zwischen beiden. Der jüngste Abend war dem Buch „Evangelio“ des türkisch-deutschen Schriftstellers Feridun Zaimoglu gewidmet. Er lebt seit 1965 in Deutschland, besuchte hier die Schule, studierte und arbeitet hier als Schriftsteller. Seit 1999/ 2000 publiziert er Theaterstücke, die in Hamburg, Bremen, Kiel, Berlin und an anderen Orten inszeniert wurden. Zaimoglu arbeitet auch für Film und Fernsehen, belebt das Gespräch. In Kamenz war er im vorigen Jahr Festredner zu den Lessing-Tagen, zudem beteiligt er sich an den politischen Debatten in Deutschland. Für sein Buch „Evangelio“ recherchierte er in den berühmten Lutherstätten und -städten, von Bibliotheken und Sammlungen ganz zu schweigen, studierte Schriften Luthers und zeitgenössische Berichte. Als Erzählstil für sein Buch wählte er den fiktiven Bericht eines Landsknechts, den der sächsische Kurfürst angeblich nach dem Reichstag von Worms zu Luthers Schutz bestellt haben soll. Der Text des Buches besteht aus diesem von Zaimoglu erdachten und dem Landsknecht in den Mund gelegten Bericht – diese gedankliche Konstruktion allein fordert vom Leser Konzentration und Phantasie. Der Autor konstruiert fiktiv seine Sicht auf mittelalterliches Leben und Denken – mit vielen seinen Auswüchsen, schafft - so scheint es - eine eigene Form von mittelalterlichem Deutsch. In dessen schwerfälligen Ausdrücke und ungewohnten Satzformen der Leser erst hineinfinden muss. Hinkommt, dass wir Leser nur ein Lutherbild aus Sicht des Landsknechts erhalten, der ein strenger Katholik, damit Anhänger des Papstes sein soll. „Evangelio“ ist ein Buch, das zum Denken und zu ständiger inhaltlicher Distanz herausfordert. Uwe Jordan hatte – um seinen Zuhörern das Buch und den Autor näher zu bringen – zu diesen komplizierten literarischen Konstruktionen des Buches auch noch die Länge des Textes zu überwinden. Ersteres löste er stimmlich, letzteres durch energische Striche. Dadurch rückten einzelne Szenen, die lose zusammengefügt sind - dem Fernsehen gleich, für das der Drehbuch-Autor erfolgreich arbeitet - zusammen, werden kompakter, ohne Handlung. Dem Literaturfreund Uwe Jordan gebührt Dank für seine Lösung dieser verwobenen Aufgaben. Er machte neugierig und regte an, über die vielfältig verflochtenen Forderungen einer Zeit wie der Reformation nachzudenken, die unerwartet, „ungeplant“ und bar jeder „Regelung“ oder Theorie zu bewältigen und, von Menschen des Mittelalters für die der Neuzeit zu gestalten waren. Heinrich Heine sagte von der Bibelübersetzung: ‘Luther schuf mit der Bibelübersetzung aus einer Sprache, die nicht mehr lebte, eine, die noch nicht lebte.‘

 

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