Reisen räumt mit Vorurteilen auf

Mit Studenten der Fernuniversität Hagen vor der Brigitte-Reimann-Begegnungsstätte in HoyerswerdaEin Tag in Hoyerswerda auf den Spuren von Brigitte Reimann mit Studenten der Fernuniversität Hagen unter Leitung von Prof. Schlegelmilch. Gastgeber war der Hoyerswerder Kunstverein.

Die beste Bildung erfährst du laut Goethe auf Reisen und auch, dass nur dort, wo du zu Fuß warst, du auch wirklich gewesen bist. Reisen veredelt den Geist und räumt mit Vorurteilen auf, liest man bei Oskar Wilde. Und so könnte man die Reihe der klugen Sprüche fortsetzen.
Das alles wissen Professoren seit Jahrhunderten und praktizieren es bis heute. So auch Professor Dr. Arthur Schlegelmilch von der Fernuniversität Hagen. Sein Fachgebiet umfasst im weitesten Sinne die Geschichte und Gegenwart Europas. So unternahm er mit Fern-Studenten der Studiengänge Kulturwissenschaften, der Europäischen Geschichte und Literatur, der Politik- und Sozialwissenschaft eine Forschungsreise nach Ostdeutschland unter dem Aspekt "Neue Menschen in neuen Städten und Dörfern". Anstoß für eine Station in Hoyerswerda war die Literatur, der Roman von Brigitte Reimann "Franziska Linkerhand", der die 50er und 60er Jahre in der ehemaligen DDR sehr lebendig und wahrhaftig widerspiegelt. Einige der 21 Studenten hatten sich ganz intensiv auf Brigitte Reimann vorbereitet und so wurde der Reimann-Spaziergang eher zu einem Dialog als zu einem einseitigen Vortrag und ebenso rege war das anschließende Zeitzeugengespräch in der Lausitzhalle.
Auf der Seite der Gastgeber war man erstaunt, mit welchem Interesse und mit welcher Offenherzigkeit die Studierenden alles wissen wollten und sehr klug nachfragten, wie das Leben in der DDR und besonders in dieser "sozialistischen Stadt" gestaltet wurde. Es ging neben der Geschichte der Stadt vor allem um die Intensionen ihrer neuen und alten Bewohner. Mitglieder und Freunde des Kunstvereins erzählten von ihren persönlichen Wegen und von der Ankunft in dieser Stadt, die ihnen inzwischen zur Heimat wurde. Heimat, die entstand durch die Geborgenheit in der eigenen Familie und im Freundeskreis, der von Uwe Jordan als zivilgesellschaftliche Enklave im Sozialismus beschrieben wird. Materiell abgesichert war man durch die Arbeit, die mit dem Kombinat Schwarze Pumpe gegeben war. 
Da viele junge Leute direkt nach ihrem Berufsabschluss nach Schwarze Pumpe oder Hoyerswerda verpflichtet wurden, waren auch alle leitenden Kader sehr jung und wollten vieles, allerdings immer schön konform mit der Partei, bewegen. Auf sportlichem Gebiet wurde das staatlich unterstützt, aber Kultur und auch Einkaufskultur blieben aus Mangel an Mitteln und Interesse auf der Strecke. Brigitte Reimann mischte sich vehement ein, sie beklagte öffentlich, dass noch immer ein Jugendclub, ein Kaufhaus, ein Theater oder eine Einkaufs- und Bummelmeile fehlen. Ebenso prangerte sie an, dass das geistig arme Leben dieser Stadt zu einer hohen Suizidrate führt.
Einen Teil dieser fehlenden Lebensqualität schuf sich der Freundeskreis der Künste und Literatur selbst, der aus Hauskreisen der evangelischen Neustadtgemeinde hervorgegangen war und den Martin Schmidt seit mehr als 50 Jahren inspiriert und leitet. Beglückend für diesen Kreis war, dass eigene Vorstellungen von Literaturabenden, Gestaltung von Ausstellungen und Organisation von Theaterbesuchen umgesetzt wurden. Der Reiz war eben, dass es keinen eingefahrenen Kulturbetrieb wie in gewachsenen Städten gab und dass man sich um Regeln von Staat und Partei nicht sonderlich scherte. Und, dass alle so unglaublich jung waren. Themen aus der Kunst, die die geistige Enge dieses Landes kritisierten, waren die bevorzugten. Das führte naturgemäß zu einer Beobachtung durch die Sicherheitsorgane, die eine konspirative Tätigkeit witterten, aber so richtig keinen Anhaltspunkt fanden. 
Für die Gäste der Uni Hagen entsprach vieles so gar nicht dem bisher Gelesenen und Gehörten über diese Stadt und sie versprachen wiederzukommen. Während einer Rundfahrt durch Neu- und Altstadt gab es noch einen Halt am Schloss, wo die Gäste mit einem von Angela Potowski "wahrhaft fürstlich" vorgetragenen Text aus der "Linkerhand" verabschiedet wurden, einem Text zu einem Gemälde der Katharina Reichsfürstin von Teschen, die die Standesherrschaft Hoyerswerda von 1704 bis 1734 führte und maßgeblich prägte: " Na, die hatte es hinter den Ohren.. die tolle Person. Man muss sich das vorstellen, in dem Grenznest zwischen Heide und Wäldern, Wolfsgeheul in den Winternächten, Handwerker und Ackerbürger von verbissener Frömmigkeit, die eine fremde Sprache sprechen... vielleicht ist sie in Ohnmacht gefallen, als ein Lümmel in seidenen Kniehosen ihr (am Hof August des Starken) mitteilte: Madam, der König erlaubt ihnen, sich nach Neustadt zurückzuziehen... Nein, die ist nicht ohnmächtig geworden, sagte sich Franziska, befangen unter den gemalten Augen, die wild und hochmütig über sie hinweg blickten, und ich würde eher annehmen, dass sie ein zu lebhaftes Interesse für Politik gebüßt hat..." Wie man sieht, kaum eine Zeit verschont ihre aufmüpfigen Bürger, die im Nachhinein sehr oft ihrem Land zum Wohl gereichen.

Die Fernstudenten zum Zeitzeugengespräch in der Lausitzhalle

Lesung an dem ehemaligen Wohnhaus von Brigitte Reimann. Links im Bild Prof. SchlegelmilchLesung in der Nähe der ehemaligen Gaststätte "Glück Auf"Besuch des Reimann-Denkzeichens im Zentral-Park Hoyerswerda

 

 

 

 

 

 

 

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