Was wissen wir von einem, dessen Andenken sehr einseitig weiter gegeben wurde?

Uwe Jordan stellt Donatien Alphonse François, Marquis de Sade (1740-1814) beim Hoyerswerdaer Kunstverein vor.

Uwe Jodan alias Donatien Alphonse François, Marquis de SadeWenn wir uns die Lebenszeit des Marquis de Sade anschauen, ist es die Zeit der Hochkultur der europäischen Geistesgeschichte, mit berühmten Schriftstellern und Philosophen, in Deutschland besonders der Weimarer Klassik bis hin zu den Romantikern. Es ist die Zeit der Verbreitung von neuen Denksystemen in der Gesellschaft, eine Zeit des Um- und Aufbruchs, in der Adel und Kirche nicht mehr die alleinige Herrschaft ausüben. 
Die Zuhörer des Abends erleben den intelligenten Alphonse Marquis de Sade am Ende seines Lebens im Irrenhaus in Paris, wo er 'alias eines exzellenten Uwe Jordan in Anstaltshemd' sehr bewegend und klar seine Lebensgeschichte erzählt, die meiste Zeit in Gefängnissen oder Irrenhäusern verbringt, führende Persönlichkeiten des Adels, zu dem er selbst gehört, am Schafott enden sieht, die Revolution mit ihrem gewaltigen Auf und Ab erlebt, Napoleon kommen sieht und auch wieder gehen. Seine eigenwillige Lebensphilosophie passt zu keiner Zeit so recht dazu, deshalb wird er immer wieder weg gesperrt.
Als junger Adliger de Sade war es selbstverständlich, dass er in der Armee Offizier wurde. Die jüngere Tochter der Familie de Montreuil, in die er sich ernsthaft verliebt hatte, gestand man ihm nicht zu, er musste im Interesse beider Familien die ältere Tochter heiraten, die nach seinen Aussagen noch dümmer war als die Mutter, aber nicht ganz so boshaft. Die Schwiegermutter also sorgt dafür, dass das süße, ausschweifende Leben, das er bis dato führte, im Gefängnis endet. Hier beginnt erfreulicherweise sein Weg als Schriftsteller. Das Buch "Die 120 Tage von Sodom" begründet wegen der freizügigen pornografischen Beschreibungen von sexuellen Vorlieben über Jahrhunderte seinen Ruf als der Schlimmste unter den hemmungslos Ausschweifenden. Sein Name wird zum Synonym für sexuelle Gewalt. Heute weiß jeder, was Sadismus oder Sadomasochismus ist. Aber so gut wie keiner hat de Sade wirklich gelesen. Das holt nun Uwe Jordan nach. Er liest das Eingangskapitel aus besagten 120 Tagen von Sodom und man ist erstaunt, was de Sade seinen Lesern hier auf den Weg gibt. Das war im Jahr 1785, also noch vor der Revolution von 1789. De Sade stellt vier Bücher des Marquis de Sade, die von Uwe Jordan vorgestellt wurdenPersonen in den Mittelpunkt der Erzählung, die am Hof Ludwig des XIV. durch Erpressung und Veruntreuung zu Reichtum gelangt sind und mit Ehefrauen, Töchtern und weiteren jungen Mädchen in einem Schloss eingesperrt leben. Es sind ein Herzog, ein Bischof, ein Richter und ein Steuereinnehmer, also ein Spektrum der wichtigsten Ämter am Hof, die hier in abartigste Sexualpraktiken und Gewaltexzesse verstrickt sind. Am Ende sind die meisten Frauen tot. Es ist eigentlich nicht zu übersehen, dass de Sade hier nur das erzählt, was am Hof möglicherweise Usus ist, er selbst sitzt hinter Gittern wegen weitaus harmloserer sexueller Praktiken. 
Doch in den Mittelpunkt des Abends stellte Uwe Jordan "Die Philosophie im Boudoir". Da konnte man schon staunen, denn in höchst philosophischer Manier werden hier den Franzosen, die nun Republikaner werden wollen, grundsätzliche Verhaltensweisen nahe gelegt, Verhaltensweisen die Mensch und Natur als Ganzes sehen: Eine Religion, die der Mensch heute braucht, dient der Erhöhung der Seele und ist keine Waffe in den Händen von Tyrannen zur Verbreitung von Furcht und Schrecken. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst ist mit de Sade nicht zu machen und jeder andere weiß das auch, ein Republikaner aber kann brüderlich lieben und Barmherzigkeit üben.
Neue Sitten werden gebraucht, zur Freiheit des Handelns gehört ebenso die Freiheit der Sexualität, was de Sade übrigens auch den Frauen einräumt und was er in diesem Buch ebenfalls ausführlich mit "sadistischem" Vergnügen erzählt. 
Zur Beseitigung von Missständen im Land propagiert de Sade nur wenige Gesetze, die so gestaltet sein müssen, dass sie Rücksicht nehmen auf die Individualität des Einzelnen. Er begründet dies in so perfekt schlüssigen Beweisketten, dass die Zuhörer fasziniert innehalten. Eine Missetat nennt er die Verleumdung. Sie ist aber kein Vergehen, was zu bestrafen wäre, weil eine zu Recht geäußerte Verleumdung durchaus auch härter ausfallen sollte. Wird einer zu Unrecht verleumdet, kann es ihn nur erhöhen. Denn, wenn seine Unschuld bewiesen ist, ist der Verleumder selbst der Beschämte. 
Auch bei Diebstahl ist kein Gesetz zur Bestrafung notwendig. Was nützt ein Gesetz einem der nichts hat, wenn nur der geschützt wird, der etwas hat? Es wäre wieder eine Waffe der Starken gegen die Schwachen.
Ehebruch und Unzucht fallen ebenfalls unter die Missetaten. Sind sie aber zu bestrafen? Es kann keinem Geschlecht zugestanden werden, ob Mann oder Frau, sich des anderen zu bemächtigen. Die Kinder haben notfalls als Vater den Staat. Die Ehe ist deshalb fragwürdig und ein Ehebruch folglich nichtig. 
Todesstrafe bei Mord lehnt de Sade ebenfalls ab. Erstens, weil dann anstelle von einem gleich zwei tot wären, zum anderen gibt es in der Natur keinen Punkt der Ruhe, es ist ohnehin ein Werden und Vergehen. Mord ist eine Gräueltat, aber warum sollte man einen einzelnen Mörder bestrafen, wenn Kriege seit Jahrhunderten geführt werden, um Menschen gleich massenweise zu töten? Ein Mörder müsse vom eigenen Gewissen bestraft werden! Das betrifft in besonderem Maße die Politiker.
"Deshalb lasst uns nur wenige Gesetze machen, zum Glück des Bürgers und zum Wohl der Republik. Bleibt ruhig innerhalb eurer Grenzen und lasst die Thronsessel Europas von selbst zusammenbrechen. Wenn andere angreifen, dann schützt eure Grenzen."

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