Jüdische Bildung prägt Europa

Erich Busse 2015 beim Hoyerswerdaer KunstvereinHumboldtsches Bildungsideal ist ein feststehender Begriff des 19.Jahrhuderts in Deutschland; ein Idealzustand von Bildung, die nicht nur berufsbezogen sein soll, sondern in einem hohen Maß unabhängig von wirtschaftlichen Interessen und staatlichen Einflüssen und eine Integration aller Wissenschaften mit Hilfe einer Grundwissenschaft, der Philosophie, erreichen soll. Das erzieht zwangsläufig zu einer toleranten Sicht auf die Welt in ihren unendlich vielen Facetten und führt zu "Vernunftgebrauch" im Handeln. Selbst Wilhelm von Humboldt wusste, dass dieser Idealzustand nie hundertprozentig erreicht werden könnte.
Erich Busse nun geht der Frage nach, warum gerade so viele Juden einen hohen Beitrag an dieser universellen Bildung in Deutschland leisteten. Der jüdischen Bevölkerung war in weiten Teilen Europas der Erwerb von Grundbesitz verboten, ebenso die Ausübung der meisten handwerklichen Berufe. Da verblieben die Medizin, die Rechtswissenschaft, das Kredit- und Bankwesen. Bei allen Vertreibungen der Juden konnte dieses Wissen im Gegensatz zu materiellem Besitz mitgenommen werden. Zum jüdischen Religionsverständnis gehört außerdem seit jeher, dass die Knaben lesen und schreiben lernen, in der Landessprache und in der Sprache der Thora, im Hebräischen. Und das bereits in Zeiten, da in Europa selbst Könige nicht schreiben und lesen konnten. In den vielen Bereichen von Wissenschaft Kunst sehen sich die meisten Juden jedoch zuerst als Europäer und erst in zweiter Linie als Juden. Das konnte Erich Busse an vielen Biografien deutlich machen.
Berühmte Dichter wie Heinrich Heine, Karl Kraus, Else Ury, Victor Klepper, Stefan Zweig, Franz Kafka, Franz Werfel, die Familie Mann, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth, Rudolf Vrba, Erich Kästner, Hannah Ahrendt und Stefan Heym kommen zu Wort. Ihre Themen sind nicht fromm oder religiös, sie sind einfach beste Weltliteratur. Stefan Heym widerfährt bei seiner ersten Reise nach Israel ein Missgeschick, er wird bestohlen und ist darüber zutiefst erschüttert. Die Antwort des Beamten lautet lakonisch: wir sind ein ganz normaler Staat, uns stehen demnach auch ganz normale Verbrecher zu. Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 geht auf die Initiativen der Zionisten zurück, verbunden mit dem Namen Theodor Herzl.
Neben den Dichtern sind es die Musiker und Dirigenten, die für ein hohes Niveau der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts sorgen, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Arnold Schönberg, Gustav Mahler, Daniel Barenboim. Wissenschaftler ohne Zahl folgen: Albert Einstein, dessen Allgemeine Relativitätstheorie mit der vorausgesagten Krümmung von Raum und Zeit, ganz aktuell! bei einer Sonnenfinsternis im Jahr 1919 in Südafrika nachgewiesen werden konnte. Neben ihm weitere Physiker, Techniker und Erfinder, zu denen auch Fritz Haber gehört, der neben der berühmten Ammoniaksynthese auch Giftgase für den Einsatz im Krieg entwickelte. Nicht zu vergessen Schauspieler und Regisseure von Charlie Chaplin über Billy Wilder (Manche mögen´s heiß / Zeugin der Anklage), Fred Zinnemann (Zwölf Uhr mittags) und Miloš Forman (Einer flog über das Kuckucksnest). Auch Max Reinhardt gehört dazu, Schauspieler und Regisseur am Deutschen Theater in Berlin. Ihm wurde von den Nationalsozialisten eine "Ehren-Arierschaft" angeboten, die er ablehnte, obwohl er mit seiner Emigration in die USA "den Boden unter den Füßen" verlor, seine materielle und geistige Heimat aufgeben musste. 
Künstler wie Marc Chagall , Felix Nussbaum und Max Liebermann prägen die Malerei der Moderne maßgeblich mit und sind heute aus den Galerien nicht wegzudenken.
Und nicht zu vergessen eine lange Reihe von Philosophen, Ärzten, Politikern und Militärs: Karl Marx, Rosa Luxemburg, Martin Buber, Walther Rathenau, Alfred Dreyfus, Peter Benenson (Amnesty International), Karl König, der Kinderarzt und viele andere. Erich Busse weist auf den Zusammenhang zwischen Altem Testament und der Philosophie von Karl Marx hin. Das "Primat der Arbeit" als Bestandteil der jüdischen Philosophie findet sich bei Marx wieder, denn die Schöpfung ist Arbeit, von der sich Gott am siebenten Tag ausruht. 
Viele der Genannten fielen selbst dem Holocaust zum Opfer oder konnten oft als einzige ihrer Familie überleben. Welche Gräuel und welch ein Verlust von geistigem Reichtum.

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