Graphik von Käthe Kollwitz

Am Mittwoch, den 8. Juni, versammelte sich der Hoyerswerdaer Kunstverein, um unter der Leitung der Gastrednerin Rosemarie Radeke in die Kunstwelt der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einzutauchen. Im Mittelpunkt des Lichtbildervortrags stand das Leben und Werk der Bildhauerin und Graphikerin Käthe Kollwitz.

Falsches Heldentum, Sterilisierung und Verschönung waren Elemente einer Kunst, mit der sich Käthe Kollwitz, geboren am 8. Juli 1867, nie zu identifizieren vermochte, denn in ihren Augen stand diese sogenannte Salonmalerei für Verblendung und Ignoranz des Elends in der Welt. Kollwitz verstand es als ihre Lebensaufgabe, sich dem Kleinen, Bescheidenen und Intimen zu widmen. „Was nicht lebendig Wurzeln fasst, warum soll das sein?“, fragt sie sich. „Meine Kunst soll Zweck erfüllen in dieser mieseren Zeit. Ich soll das Leiden der Menschen aussprechen. Ich will wirken in dieser Zeit.“
Geprägt vom Freigeist ihres Großvaters, von den Eindrücken zahlreicher Auslandsaufenthalte, von akademischer Ausbildung und Literatur, schult Kollwitz ihren Verstand und entlarvt die Unstimmigkeiten in der Welt. Vom Impressionisten Auguste Rodin beeindruckt und vom Realismus des Max Klingers ausgehend, vermengen sich in ihren Radierungen Bitternis und Ernst des alltäglichen Arbeiterdaseins mit impressionistisch-realistischen Elementen. Die Gestalten, die sie schafft, gehen ohne Blick und tot im Gesicht Abgründen entgegen. Zumeist bleiben sie isoliert und obdachlos in der Dunkelheit. Es düngt, als hätten sie ihre Heimat verloren, und damit zugleich ihre Hoffnung auf Zukunft. Mit zartesten Linien, reduziert bis zum Äußersten, dringt Kollwitz’ in die Tiefe zielender Blick in die Seele dieser Schicksale und gibt der Szene die entsprechende plastische Form. Die Traurigkeit, die sich durch ihre Werke zieht, rührt nicht nur von unterbemittelten Lebensverhältnissen her. Nein, es ist vielmehr Hass, Missgunst und Schlechtigkeit, die jenes Ohnmachtgefühl auslösen.
Kollwitz setzt sich ein für soziales Engagement, für ein menschenwürdiges Miteinander. „Wir halten uns an den Händen bis ans Ende,“ beschreibt Kollwitz ihre Ehe und vielleicht auch ihren Traum vom Überwinden der Verrohung. Sie hält ihre Hand zum Leben ausgestreckt, symbolhaft für das Händereichen, das ein Zusammenkommen bewirkt, für eine verlängerte Umarmung der Hilfe- und Liebebedürftigen, für eine Schale, welche die Kinder der Erde aufnimmt und unter sich schützt, für Geborgenheit und das Verlangen, die Dinge zu fassen, die da geschehen, um zu wissen, dass man noch am Leben ist.

Was hat das Leben IHR gebracht? Was hat es IHR genommen? Eine Bilanz will Käthe Kollwitz so nicht ziehen. Einem Hiobsleben gleich, verlor sie Mann und Freunde, überlebte Sohn und Enkel, sah ihre Heimat in den Kriegen zerbomben. Dennoch verharrt sie mit unsagbarem Vertrauen in das Leben und bereut keines ihrer Erlebnisse. Nichtsdestotrotz verleugnet sie keineswegs, dass all diese Schicksalsschläge ihre Kräfte zehren, dass mit zunehmendem Leid das Wiederaufrechten schwerer fällt. Ihr Herz ist tot, doch die vielen Pläne im Kopf und die Verantwortung ihrer Mitwelt gegenüber gestatten es noch nicht, sich ihrer geheimen Todessehnsucht hinzugeben. Erst kurz vor ihrem Tod am 22. April 1945 lässt sie los und tröstet ihre Angehörigen: „Wegzugehen fällt mir schwer, so unendlich viel Gutes ist mir geschehen. Aber bitte, lasst mich jetzt gehen. Meine Zeit ist um.“

Käthe Kollwitz: Das steht für eine großartige Künstlerin, die nach Rosemarie Radeke „Mütterlichkeit für die Welt“ entwarf. Es steht für die kraftvolle Bäuerin „schwarze Anna“, die das unterdrückte Volk zum Aufbruch motiviert. Es steht für eine kleine wortkarge Frau, die sich weigert, die Augen vor dem Unheil auf Erden zu verschließen; für eine mutige Visionärin, „die den Weltherrschern den Krieg verbietet“; für eine Schutzpatronin der Seele, die da fordert: „Ihr habt Euch auf’s Leben einzustellen!“

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