Uwe Jordan sprach mit Ralph Giordano

Ralph Giordano

Ralph Giordano wirkt mit seinen 82 Jahren agil wie manch Mittzwanziger nicht. Im „Lessing's", eigentlich beim Mittagstisch, ist er beim lebhaften Telefonat, diskutiert am Handy mit einem Freund, spricht Termine ab. Nicht nur das. Wortfetzen sind hörbar: „... lese heute in Hoyerswerda... Sie wissen, wodurch diese Stadt, ungerechter Weise, in Verruf gekommen ist... habe mich von den Schmidts durch die Stadt führen lassen... wunderbare Stadt... ja, gut; bis dann also..."

Die Schmidts, Martin und Helene vom Kunstverein, haben Giordano nach Hoyerswerda eingeladen. Das fast überschwängliche Lob für Hoyerswerda verblüfft den, der aus manchem Mund Anderes gewohnt ist. Aber Giordano beharrt darauf:„Wie ich durch Hoyerswerda gegangen bin, mit Martin Schmidt als kundigen «Ciceronen», habe ich gemerkt, wie tief beeindruckt ich von dieser Stadt bin. Und wie gut die deutsche Wiedervereinigung war, trotz aller Schwierigkeiten, trotz allem Schlimmen. Ich will keinen kritik-freien Jubel, aber erst recht bin ich kein Pessimist. Ich bin Realist und sage: «Es ist ein Grund zur Freude, heute in Deutschland zu leben, ganz gleich, ob West oder Ost.» Und dass diese Stadt Hoyerswerda in Deutschland in Europa liegt - was eröffnet sich da nicht alles an großartigen Perspektiven..."
Aber Giordano, obwohl auch als heiterer Erzähler bekannt (»Der Wombat"), ist nicht des Vergnügens halber angereist; auch nicht um die Stadt wortreich zu bewundern. Er hat ein weit ernsteres Thema. Er wird am Abend im Schloss aus seinem Buch „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte" lesen und mit den Zuhörern genau darüber diskutieren. Denn zwar hat Giordano die Frage „Wird Deutschland wieder gefährlich?" in seinem gleichnamigen Buch entschieden verneint („und das sehe ich heute noch genau so"), aber wie sich Deutschland mit dem Nationalsozialismus beschäftigt; genauer gesagt, wie entscheidende Stellen diese dunklen Geschichtskapitels ausgespart werden, wie Täter bis heute auch moralisch ungeschoren davongekommen sind und wie wenig man über die Nazis und ihren Hintergrund wirklich weiß - das treibt ihn rastlos um. Das will er verändern. Will helfen, dass jeder denkende Mensch die oft hilflos gestellte und noch öfter genau so hilflos beantwortete Frage „Wie konnte es geschehen?, wie konnte der Nationalsozialismus über Deutschland, über die Welt hereinbrechen?" für sich wirklich beantworten kann.
Das gehe jedoch eben nur, wenn man wisse, was die Nazis über ihr wahnwitziges Treiben hinaus vorgehabt hatten. Wenn es ihnen tatsächlich gelungen wäre, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Zugriffe: 2048