Kunstverein am Schlosskamin mit Sewan Latchinian

Es kann. So zumindest die Aussage von Sewan Latchinian, Intendant an der neuen bühne senftenberg und Autor des Theaterstücks „Berlin“, welches er am 09.02.2005 brillant vortrug.

Sewan LatchinianLatchinian weiß um die Wirkung dramatischer Effekte und so erfährt man auch erst am Schluss, dass ein neugeborenes Mädchen „Berlin“ genannt werden soll. 
Anfangs hätte man annehmen können, es geht irgendwie um die Stadt Berlin, es ging aber um das Berlin mit einer Mauer als Trennlinie zwischen Ost und West, das einen geteilten Himmel hat, in der „keiner ganz sein kann“ - die Stadt ein Synonym für ein geteiltes Land, für ein geteiltes Europa, nur geeint durch eine Mauer. In dieser Sphäre begegnen sich Lena und Jakob.
Die Fabel
Lena wächst im Osten Berlins auf, der Vater ist Werkleiter, die Mutter Hebamme. Lena trainiert als Spitzensportlerin für die Weltmeisterschaft. Alles eingebettet in ein System von schönster Ordnung und von Behütetsein. Der Eintritt in die Partei ist vorbereitet und der Freund gehört zur Familie. Die Dialoge zwischen Tochter und Eltern sind eher nüchtern und ohne Emotionen, wir hören von dem kleineren Übel der Atomkraft gegenüber dem Kohlenmonoxid der Kohlekraftwerke, von Fortbildung statt Fortpflanzung für die Arbeitskräfte aus Kuba, von Schüssen an der Mauer, die leider sein müssen. Die Haltung des Vaters zu seiner privilegierten Stellung als Werkleiter: Wir leisten etwas, deshalb leisten wir uns was.

Unter den Freunden in Lenas Jugendklub wird über alles Mögliche geredet, die Dialoge sind jetzt witzig und leidenschaftlich, Pille, Kondome, Stasi, Tropis = Kinder trotz Pille, sind Inhalt der Gespräche und man liebt sich, weil man jung ist. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Lena ihren Freund verlässt und auf Jakob trifft und beide im Park von einem Volkspolizisten beim Liebesakt überrascht werden.
Der Polizist: „Ziehen Sie sich an! …und ihre Ausweise bitte! „
Lena und Jakob: „Ziehen Sie weiter! „

Als offenkundig wird, dass Lena mit einem jungen Mann aus Westberlin zusammen war, gibt es ein Nachspiel in zweierlei Hinsicht. Zum einen mischen sich Stasi, Sportschule und Eltern ein, zum anderen ist Lena schwanger.
Im Gespräch zwischen Jakob und seiner Mutter erfährt Jakob erst jetzt, dass Lanas Vater auch sein Vater ist, das Lena in der gleichen Straße wohnt wie er, nur eben getrennt durch eine Mauer und getrennt durch die Aussage der Mutter, dass sein Vater für sie gestorben ist. In diese Liebesgeschichte spielte der Volksaufstand von 1953 hinein. Jakobs Mutter verlässt die DDR, um sich einer Denunziation durch Lenas Vater zu entziehen. Er ist einer von vielen, die zum Mauerbau beitragen.
„ Arm das Volk, das eine Mauer hat, arm ein Volk, das eine Mauer braucht - Devisen sind die Devise - der Eiserne Vorhang verrostet ohne Stahl aus dem Westen“ .
Die neue Generation
Allein vor dem Abgrund steht Lena, die Eltern drängen zum Schwangerschaftsabbruch, denn die Eltern von Versagern sind auch Versager, die Sportschule ruft nach ihr zum Ruhm des Vaterlandes, der Stasivertreter verspricht Gnade vor Recht, wenn sie sich lossagt von ihrer „Verfehlung“, Jakob erhält keine Einreise nach Ostberlin.
Warum denken junge Leute plötzlich ganz anders, leise und gefühlvoll und gar nicht revolutionär, wenn es um die Ausbildung, den Weg zum Ruhm, die Partei, um Kinder geht?
Da hilft keine Vernunft. Lena wird „unvernünftig“ das Kind bekommen, weil sie es ganz allein so will. Sie wird dabei zugrunde gehen, ihr Vermächtnis an die Eltern: sie sollen das Kind wie ihr eigenes erziehen, ihm Vater und Mutter sein und es soll Berlin heißen.
Eine Vision des Sewan Latchinian für eine neue DDR oder für ein neues Deutschland? Ich denke, beides.
Und es gehörte eine Menge Mut dazu, dieses Stück 1987 zu schreiben und 1988 am Deutschen Theater mit Regisseur Frido Solter aufzuführen. Vielleicht ist es eines Tages auf dem Spielplan in Senftenberg zu finden.

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