Literarischer Spaziergang durch die Stadt Hoyerswerda

Am ehemaligen Wohnhaus von Brigitte Reiemnn in Hoyerswerda

Vorläufig finde ich es noch grässlich hier. Es ist schwer, sich an so ein Riesenhaus zu gewöhnen, wo in jeder Wohnung gelärmt wird und irgendwelche Bälger brüllen...“ – Das ist einer der ersten Eindrücke, den Brigitte Reimann am 8. Januar 1960 in ihrer neuen Heimat Hoyerswerda zu Papier bringt. Das „Riesenhaus“ ist die Liselotte-Herrmann-Straße 20, ein, verglichen mit den späteren Wohnkomplexen VIII und IX, eher niedriger Bau mit großzügig geschnittenen Wohnungen.

Hier begann am Sonnabend der Brigitte-Reimann-Spaziergang, zu dem der Kunstverein Hoyerswerda aufgerufen hatte. Rund 80 Besucher wollten sich das nicht entgehen lassen.

Die Idee dieser Tour: An Orten, die die Reimann in ihren Romanen, Erzählungen und Tagebüchern festhielt, machte der Trupp halt, und Angela Potowski und Helene Schmidt lasen im Wechsel kurze Passagen der Texte, die diese Stätten so beschreiben, wie sie um 1960 ausgesehen haben und erlebt wurden. Martin Schmidt, der Vorsitzende des Kunstvereins und Anreger dieses Spazierganges, der die Reimann persönlich sehr gut kannte, gab dazu kurze Erläuterungen; verstand es, den Faden zwischen gelesenen Texten, der Person der Reimann, den Verschlüsselungen und wahren Personen zu spinnen, aber auch den Bogen zur Gegenwart zu schlagen.

Das konnte angenehm sein, etwa als Schmidt ein Foto der damaligen Herrmannstraße zeigte: Rechte Winkel, Sand, kein Grün – nur Häuser: „Sehen Sie doch nur, gegen welche Kahlheit damals angeschrieben werden musste...“ Heute ist die Herrmannstraße, besonders in den Innenhöfen, von saftigem Grün förmlich überwuchert. Weniger fröhlich fiel dieser Vergleich an der Gaststätte Glückauf aus: geschlossen, marode, verwahrlost.

Umso bemerkenswerter, wie die Reimann es verstand, diese Plätze lebendig zu halten, dass sie in ihrer Gestalt von 1960 wieder aufscheinen. Dass sich der Betrachter mühelos in das Damals hineinversetzt fühlt. Etwa, wenn der Lausitzer Platz im Reimann-Text kurz zuvor wieder zu dem geworden ist, was er noch über Jahrzehnte hinweg bleiben sollte: eine riesige, öde Sandwüste, auf die sich höchstens ein-, zweimal im Jahr ein paar Schausteller verirrten. Selbst das Centrum-Kaufhaus, das heutige Karstadt, war damals nur ein Plan, und dass es dann nach bedenklichen Vakanzen doch noch nach Hoyerswerda kam, ist ein Stückchen auch der Reimann zu verdanken, die sich damals, öfter als heute bekannt ist, für ihre Stadt mit den Obersten in Berlin anlegte.

Wobei ihre Begeisterung für Hoyerswerda nichts mit kritiklosem Bewundern und Verharren zu tun hat. Als Beweis dafür können jene Zeilen gelten, in denen sie ihre Architektin Franziska Linkerhand ohne Bedauern Teile der Altstadt abreißen lässt, die jahrhundertealten Gemäuer nur wenig freundlich betrachtet: als dem Neuen im Wege stehend.

Allerdings wäre es ebenso falsch, die Reimann zur „Dichterin des DDR-Wohnungsbauprogramms“ zu verkennen. Was sie dazu zu sagen hatte, verdient eher das Attribut „subversiv“. Da wird die Großplattenbauweise als „Bankrotterklärung der Architektur“ bezeichnet.

Wie Fakten zu Kunst werden

Im Schlosssaal gab es den faszinierendsten Teil der Lesung. Zunächst ein Text aus dem Tagebuch – und unmittelbar darauf die Passage, in der das soeben nüchtern Geschilderte im Roman „Franziska Linkerhand“ zu Literatur geworden ist – die Geschichte um den Museumsdirektor, der die Geschichte von Napoleons Übernachtung im Schloss erzählt und zum Beweis, dass die Stadt schon immer ein wenig hinterm Monde lag, eine Hoyerswerdaer Zeitung von 1849 hervorholt, die ihren Lesern zu berichten weiß, „dass es letztes Jahr in Berlin Unruhen gegeben haben soll.“ Gemeint war die 1848er Revolution.

„Eigentlich betrachte ich H. als eine Art Durchgangsstation... Richtig gernhaben werde ich H. wahrscheinlich erst viel später, wenn ich mal drüber schreibe und längst woanders wohne.“ Man kann Hoyerswerda auch gern haben, wenn man dort wohnt. Nicht zuletzt diese Erkenntnis hat der Rundgang vermittelt.

Zur Verfügung gestellt von:

Sächsische Zeitung

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