Vortrag von Jürgen Israel, Berlin zu Elisabeth von Thüringen (1207-1231)

Jürgen Israel

Das Sprichwort „Heilige Reden sind keine heiligen Werke“ trifft bei Elisabeth von Thüringen insofern zu, dass ihr fromme Reden vollkommen fremd waren, aber dass sie fromme Werke bis zur letzten bittersten Konsequenz ihres Lebens ausübte. 
In der Wiege lag sie als königliches Kind, denn sie war die Tochter des ungarischen Königs Andreas II. und seiner Frau Gertrud von Andechs - Meranien. Zur Erweiterung des Herrschaftsbereiches und um andere einflussreiche Fürsten zurückzudrängen, vereinbarte man im Mittelalter bereits frühzeitig die Ehen der Kinder. Deshalb kam Elisabeth von Ungarn bereits mit vier Jahren an den Hof des Landgrafen von Thüringen auf die Wartburg, um sich in dem fremden Land einzuleben. Der für sie vorgesehene Ehemann starb noch im Kindesalter und so heiratete sie 1221 im Alter von 14 Jahren den zweitgeborenen Sohn, Ludwig IV. Die Ehe der beiden wird als außergewöhnlich glücklich beschrieben, was unter diesen Umständen im wahrsten Sinn des Wortes als ein Glücksfall anzusehen ist. Ihnen wurden drei Kinder geboren. 1227 nahm Ludwig, weil das zum guten Ton der damaligen Zeit gehörte, an einem Kreuzzug teil, wobei er schon auf dem Hinweg in Italien starb.
Elisabeth, die inzwischen den Titel Elisabeth, Landgräfin von Thüringen trug, war beeinflusst durch den Franziskanerorden, zu einer Frau herangewachsen, die in der Lage war, eine eigene Meinung gegenüber den höfischen Gepflogenheiten zu vertreten und die die christliche Nachfolge ernst nahm. Sie empörte sich gegen Verschwendung und Machtmissbrauch, indem sie reichlich an die Armen im Land verschenkte. Das war nach dem Tod von Ludwig nicht mehr erwünscht.
Ihre Kinder sind für die Amtsnachfolge noch zu jung und so wird ihr Schwager Heinrich Raspe Landgraf. Es ist wahrscheinlich, dass er sie von der Wartburg vertrieb. Sie entsagt danach entsprechend ihren christlichen Überzeugungen allem weltlichen Besitz, sogar dem Besitz ihrer Kinder. Nach einer längeren Odyssee kommt sie nach Marburg und immer mehr unter den Einfluss des Franziskaners Konrad von Marburg, der ihr zu einer Abfindung durch den Landgrafen von Thüringen verhilft. Für dieses Geld lässt sie in Marburg ein Hospital errichten, in dem sie selbst unter ärmlichsten Verhältnissen lebt und arbeitet. Sie stirbt 1231, da ist sie 24 Jahre alt und völlig entkräftet. Bereits im Jahr 1235 wird sie durch den Papst heilig gesprochen. In Marburg wird die Elisabethkirche ihrem Leben gewidmet.

Jürgen Israel hat dem Leben der Elisabeth von Thüringen in der Literatur nachgespürt. Denn schon kurz nach ihrer Heiligsprechung setzt eine Mystifizierung ihrer Person ein und ihre Vita wird mit Wunderlegenden verziert. Der erste Biograph war Dietrich von Apolda, der bereits 1289 ihr Leben als Legende beschreibt und für viele weitere Dichter den Stoff liefert. Da muss man schon fragen, warum diese Heiligsprechung so rasch erfolgte und warum das Leben der Elisabeth so verklärt wurde? War ihr Leben eine Provokation gegen diejenigen, die heilige Reden hielten, aber deren Werke gar nicht heilig waren? Hat sie die heilige Ordnung durch ihre Maßlosigkeit gefährdet? Nur wenige Dichter in den seither vergangenen 800 Jahren haben das Leben der Elisabeth hinterfragt. Zu nennen sind Gustav Freytag, Marie-Luise Kaschnitz, Reinhold Schneider, Leo Weismantel, Ernst W. Wies und Ida Friedericke Görres. Bei Ernst W. Wies weist schon der Titel „ Elisabeth von Thüringen – Die Provokation der Heiligkeit“ auf den Inhalt hin. Ihre Heiligkeit vergräbt sie nicht hinter Klostermauern, sondern trägt sie in die Welt hinaus, eine Frau die laut Ida Friedericke Görres Gnade geben konnte, weil sie selbst Gnade empfangen hatte und weil Gnade das ist, was nicht sein muss, aber sein kann.


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