Lob der sorbischen Lausitz

Tag der sorbischen Poesie in Hoyerswerda mit Künstlern der Dichtkunst und der Musik, die "Brücken im Zugwind" bauen„Brücken im Zugwind“ unter diesem Titel gestalteten die sorbischen Schriftsteller Roza Domascyna und Benedikt Dyrlich, Bautzen, am 11. August einen Tag der Poesie in Hoyerswerda. Daran nahmen 10 Poeten aus den Lausitzen, Syrien, Tschechien, Dresden und Berlin und die zwei Musiker Tomasz Nawka mit dem Dudelsack und Thabet Azzawi aus Syrien/Dresden mit dem Oud, einem der ältesten Musikinstrumente der Geschichte, teil. Am Vormittag war die Gruppe im Christlichen Gymnasium Johanneum zu Gast. In der Aula erwarteten sie der Direktor Günter Kiefer und 75 Schüler der 10. und 11 Klassen. Roza Domašcyna erinnerte einfühlsam an den Dichter Jurij Chežka, dessen Klage „Wenn Mutter Erde/ hier keine Liebe mehr hat/ für ihre Söhne,/ die schuldlos schuldigen…“ gegenwärtiges Geschehen in der Welt mahnte. Als Initiator des Treffens stellte Benedikt Dyrlich die Gäste vor, von denen jeder einen eigenen Text – in seiner Heimatsprache - vortrug und dann in deutscher Nachdichtung so dass die Schüler folgen. Diese Klänge weltweite Poesie nahmen die Schüler begeistert auf und bildeten danach je nach Interesse kleine Gesprächsgruppen, um mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Als Themen wurden geboten: sorbische Poesie, am Gymnasium wird sorbische Sprache unterrichtet; Musik zweier Völker und deren Instrumente; zu Arabisch, Geschichte und Religionen des Orients; zu tschechisch– sorbischer Literatur mit Milan Hrabal und Roza Domascyna, seiner Nachdichterin; und zu neuer Literatur der Lausitzen mit den Senftenberger Schriftstellern. Schüler als auch der Schulleitung waren begeistert: „Wo und wann lernen Schüler sonst Schriftsteller so persönlich kennen, lesen nicht nur in ihren Schulbüchern sondern können sogar Gedanken mit ihnen austauschen“, resümierte Günter Kiefer den Vormittag. Einem Besuch der Krabat-Mühle Schwarzkollm folgte einer in der Brigitte Reimann-Begegnungsstätte des Hoyerswerdaer Kunstvereins. Diese wichtigste Autorin der Stadt als auch der 60/70 Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind geprägt vom Einsatz für die Stadt und der Suche nach Wahrheit. Die Gäste beeindruckte die Intensität der Erbepflege, die der Kunstverein für seine einstige Anregerin und Gesprächspartnerin aufwendet und damit Interessenten aus vielen Ländern in die Stadt, die Lausitz und zu deren kulturellen Angeboten lockt. Abends trafen sich im Schloss Hoyerswerda Mitglieder des Kunstvereins und Gäste zu einer Lesung, bei der wiederum Jurij Chežka geehrt, aber auch eigene Texte gelesen und diskutiert wurden. Die Zuhörer nahmen die Texte, die Musik und die Dialoge mit Begeisterung auf, die ihnen Einblick in zeitgenössisches literarisches Schaffen der sorbischen Schriftsteller und anderer in den Lausitzen und bei deren Freunden vermittelten. Es wäre gut, Begegnungen dieser Art zur Tradition werden zu lassen, dabei jedoch die Zahl der aktiv mitwirkenden Künstler etwas geringer zu halten, um Gespräch mit Lesern und Zuhörern bei den Veranstaltungen mehr Zeit zu schenken. Dies sind auch Erfahrungen, die der Hoyerswerdaer Kunstverein bei seinem mehr als 50 Jahre währenden Engagements gemeinsam mit zahlreichen sorbischen Freunden und Künstlern für das Vermitteln sorbischen Kunst und Literatur in Hoyerswerda gewann. Dieser Tag der Poesie setzte diese Tradition in bester Weise fort.

Pressestimmen zum Tag der Sorbischen Poesie

Benedikt Dyrlich, Bautzen:

An die Mitwirkenden und Förderer des „Tages der Poesie und des freien Wortes“ am 11. 8. 2017 in Hoyerswerda:
Cescene koleginy a kolegojo, liebe Kolleginnen und Kollegen,
noch einmal möchte ich mich bei allen bedanken, die am „Tag der Poesie und des freien Wortes“ am 11. 8. 2017 in Hoyerswerda, ehrenamtlich und in Erinnerung an den Dichter Jurij Chežka mitgewirkt haben, zeitweilig oder den ganzen Tag.
In diesen Dank schließe ich das PEN – Zentrum Deutschland in Darmstadt selbstverständlich ein. Mit dessen Unterstützung konnten der Kunstverein Hoyerswerda die Reisekosten und zwei Übernachtungen unseres tschechischen Kollegen übernehmen. Thabet Azzawi danke ich ganz herzlich, dass er seinen Bruder Abdelwahhab in Dresden beherbergt hat.
Wie aus dem Bericht (unten) von Yana Arlt hervorgeht, war es wirklich ein denkwürdiger Tag, den wir in Hoyerswerda und Umgebung verbringen konnten. Wir haben viel erfahren und uns ausgetauscht über Begrenzungen und Bedrohungen, aber auch um die vielen Bemühungen um das „freie Wort“ in Vergangenheit und Gegenwart, in der DDR und in Deutschland genauso wie in Syrien und Tschechien.
(In allen Veranstaltungen haben wir auf die PEN-Charta und viele verfolgte Autoren in der Gegenwart, vor allem in der Türkei, Syrien und Ägypten, hingewiesen.)
In den Anlagen unten noch eine Auswahl der Resonanz, darunter zwei Zuschriften von Martin Schmidt, der mit seiner Frau die organisatorischen Fäden in der Hand hatte. Ihm und dem agilen Kunstverein ist vor allem zu danken, dass alles so gut und gastfreundlich „gelaufen“ ist (trotz des nicht gerade günstigen Wetters).

Wutrobnje strowi
Mit herzlichen Grüßen
Benedikt Dyrlich

Lausitzer Rundschau am 12. 8. 2017:

In der Stadt der Berg- und Poesiearbeiter
HOYERSWERDA: Wie bringt man Schülerinnen und Schülern Literatur näher? Diese Frage haben Autoren und Sänger am Freitag im Hoyerswerdaer Johanneum beim Tag der Poesie und des freien Wortes zu beantworten versucht. Der Kunstverein Hoyerswerda mit Martin Schmidt und das PEN-Zentrum Deutschland mit Benedikt Dyrlich haben gemeinsam mit 75 Zehnt- und Elftklässlern ein zweistündiges Projekt gestartet.
Die Schüler lauschten unter anderem auch den Klängen der Oud, einer arabischen Laute. Thabet Azzawi spielte ein Stück auf ihr. Foto: Sascha Klein
Im Mittelpunkt stand das Werk des sorbischen Dichters Jurij Chežka (1917 - 1944).
Herr Schmidt, Sie feiern den Tag der Poesie und des freien Wortes. Was ist das Ziel dieser Aktion?
Das Ziel ist, die nächste Generation an Literatur heranzuführen. Es ist wichtig, dass sich vor allem junge Leute auch mit sorbischer Kultur auseinandersetzen. Die Aktion ging von Benedikt Dyrlich aus.
Was geben Sie der Jugend mit auf den Weg?
Die Jugendlichen sollen wissen, dass sie in einer kulturvollen Gegend aufwachsen, und sollten dies später auch weitergeben. Sie dürfen ruhig stolz sein auf die Region, aus der sie stammen.
Welchen Wert hat in der Lausitz vor allem die Zweisprachigkeit?
Die Zweisprachigkeit ist ganz wichtig. Das ist ein Schatz, den niemand sonst in Deutschland hat – bis auf die Friesen vielleicht. Das ist unsere Verantwortung, dass wir der Jugend jetzt zeigen, welchen Wert Literatur und Kultur haben.
Zum Thema:
Jurij Chežka ist am 22. Juli 1917 in Horka bei Crostwitz geboren. Chežka gilt als Mitbegründer der sorbischen Moderne in den 1930er-Jahren. Nach der Volksschule bekam Chezka ein Stipendium für das Erzbischöfliche Gymnasium in Prag, wo er von 1929 bis 1937 lernte. Nach dem Abitur 1937 studierte er an der Karls-Universität Prag. 1939 wurde er von der Wehrmacht eingezogen. Im Herbst 1944 verschwand er im heutigen Serbien spurlos. Er hinterlässt ein Hauptwerk mit 54 Gedichten in Sorbisch, zwei in Tschechisch.
Sascha Klein

Yana Arlt, Senftenberg:

Tag der Poesie und des freien Wortes in Hoyerswerda:
Freitagmorgen 9 Uhr Johanneum Hoyerswerda. Elf Dichter stehen vor der Aula, aus der Gemurmel klingt, die Sitzplätze sind bis auf die ersten Reihen besetzt, denn auf den Stühlen vor der Bühne werden die Künstler gleich Platz nehmen. Sie halten in ihren Händen Gedichte von Jurij Chežka oder eigene Verse, die sie den Schülern vorstellen werden. Einer kurzweiligen Stunde mit Worten über und von Dichtern und mit Klängen von der Oud und dem Dudelsack folgt eine detaillierte Vorstellung in kleinen Gruppen. Es geht um die Musikinstrumente, um slawische Sprachen, um deutsch-tschechisch-sorbische Literaturbeziehungen, um Literatur aus der Lausitz oder um neue Poesie. Eine Schülerin zeigt sich anschließend aus dem Klassenzimmer kommend sehr berührt von einem slawischen Gedicht. Innerhalb kürzester Zeit erhielten die Jugendlichen viele veschiedene Informationen über die Region, in der sie leben und lernen.
Inzwischen hat es vor dem imposanten, 1995/96 neugebauten Schulgebäude begonnen zu regnen aber schnell einigen sich die Gäste aus Bautzen, Dresden, Damaskus/ Gießen, Varnsdorf und Senftenberg auf einen Ausflug in die Krabatmühle Schwarzkolm und kommen bei Kaffee und frisch gebackenem Pflaumenkuchen ins Gespräch. Jeder der Dichter hat eine wechselvolle Biographie mit Brüchen und Spannungen. Vielleicht beflügelte dies aber gerade das eigene literarische Schaffen. In der Begegnungsstätte Brigitte Reimann erwartet Helene Schmidt die kleine internationale Gruppe und weiß von einer Autorin zu berichten, die es ebenfalls immer wieder umtrieb und die über sich schrieb: "...manchmal bin ich so niedergeschlagen, dass ich den Gashahn aufdrehen möchte. Aber damit werde ich wohl doch lieber warten, bis mein neues Buch fertig ist - die Arbeit ist noch das einzige, was einem über alles hinweghilft. Wenn ich schreibe, vergesse ich alle meine Kümmernisse, bedaure weder mich noch sonst einen Menschen..."* Brigitte Reimann lebte und schrieb von 1960 - 68 in Hoyerswerda, sie starb 1973 noch vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres. Während des Aufenthalts in der Wohnung von Brigitte Reimann nachempfundenen Räumen kommen auch die Schwierigkeiten zur Sprache, die Künstler in der DDR erlebten. Besonders für die aus Syrien nach Deutschland geflüchteten Brüder Azzawi erschließen sich Parallelen zu ihren Erfahrungen in ihrem Heimatland.
Der Regen lässt nicht nach und begleitet die Dichter und Musiker ebenso wie die Fragen nach dem eigenen schöpferischen Werk, der Stellung des einzelnen Menschen in der Gesellschaft und nach der Freiheit des Wortes den ganzen Tag. Wo kommt man her, wie prägen einen die kulturellen Wurzel und wohin kann man noch wachsen. Die abendliche Lesung im Schloss Hoyerswerda, zu der Martin Schmidt im Namen des Kunstvereins Hoyerswerda begrüßt, gibt auch dem Publikum Gelegenheit neue Klänge zu erleben, Stimmen, Sprachen, Saitenklänge. Eindrücke und Kontakte werden sicher noch einige Zeit nachwirken.
Yana Arlt

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