Vortrag und Lesung von Dr. Wolfgang Wessig, Görlitz, zu Gerhart Hauptmann (1862-1946) und das Dritte Reich

Dr. Wessig

Tugenden und Fehler sind es, die einem jeden von uns inne wohnen. Bei berühmten Leuten wird die Allgemeinheit mit Flei� zuerst die Fehler suchen und darüber die Tugenden gering schätzen oder gar verschmähen. Einen Hauch davon musste auch Gerhart Hauptmann noch zu Lebzeiten verspüren. 
Geboren am 15.11.1862 in Ober Salzbrunn (heute Szczawno Zdroj), gestorben am 06.06.1946 in Agnetendorf (heute Jagniatkow) in Schlesien hat er ein fast unüberschaubares Werk hinterlassen. Man fragt sich ohnehin, wann er das alles zu Papier gebracht haben mag. Den Nobelpreis für Literatur erhielt er bereits 1912 für seine inzwischen weltberühmten Theaterstücke und er wurde mit vielen weiteren Ehrungen bedacht. Was ihm zum Verhängnis wurde, ist sein Schweigen zu den Gräueltaten des zweiten Weltkriegs, das vielfach als Bejahung gedeutet wurde.

Dr. Wessig versuchte nun in sehr einfühlsamer Weise und nach äußerst intensiven Recherchen diesem passiven Verhalten Gerhart Hauptmanns zur Macht auf die Spur zu kommen und versucht, dessen Beweggründe zu verstehen. Dr. Wessig, der schon mehrfach Gerhart Hauptmann rezensierte, stellte zum Thema Macht zwei Dichtungen in den Mittelpunkt: "Finsternisse" und "Der neue Christopherus".
Das Requiem Finsternisse wurde anlässlich des Todes seines Gönners, Max Pinkus geschrieben, der ein jüdischer Industrieller war und zu dessen Beerdigung 1934 Gerhart Hauptmann der einzige Nichtjude war, was in dieser Zeit nicht wenig Mut erforderte. Zu lesen ist hier von qualvoller Hoffnungslosigkeit der gemarterten und verfolgten Juden, von Vernichtung und Tod. Hauptmann weicht allerdings vor einer offiziellen Anklage aus, aber wer zu lesen weiß, kann das Gesagte sehr wohl als Anklage verstehen. Erschienen ist das Stück erst 1947 in den USA, 1952 wurde es in Göttingen uraufgeführt.
"Der neue Christophorus" sollte Hauptmanns großer Bildungsroman werden, begonnen bereits 1917, blieb dieser am Lebensende Hauptmanns unvollendet. In so genannten Konvoluten sind hier Hauptmanns Weltanschauung, seine Auffassungen vom Theater, seine Sensibilität für soziale Ordnungen und Menschlichkeit, seine hervorragende Beobachtung von Charakteren, seine Trauer und Pein und sein "Denken als eine Korrektur" nachzulesen. 1944 schreibt er im 47. Konvolut von Wahnsinn und Hölle im Zusammenleben der Menschen; nicht die Natur, sondern der Mensch selbst ist des Menschen ärgster Feind.
Bis zu seinem Tod war Gerhart Hauptmann ein ruhelos Suchender und ein tatenlos Zuschauender. Jeder Leser aber kann die Worte von Gerhart Hauptmann in seiner Vorstellung vollenden.

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