Allein die Sprache kann Frieden stiften

Politisches, Biographisches und Poetisches bot die Lesung von Marica Bodrožić ( * 1973) im Schloss beim Hoyerswerdaer Kunstverein im Rahmen der "GrenzgängeR - Hoyerswerdaer Gespräche" der Robert-Bosch-Stiftung Bonn. Moderation Mirko Schwanitz.

Marica Bodrožić liest aus ihrem Roman "Mein weiße Frieden" beim Hoyerswerdaer Kunstverein 2016Wenn man Marica Bodrožić zuhört, entsteht das faszinierende Bild eines Menschen, der sehr tief in sich versunken und gleichzeitig unendlich offen für alles um sich herum lebt. Die Sprache ist für sie die beispiellose Möglichkeit, mit einem wachen kritischen und zugleich liebevollen Blick die Welt von gestern und heute zu betrachten. Zur Sprache gehört bei ihr unverwechselbar der musikalische Klang der Sprache, der auch beides sein kann, laut und machthaberisch, warm und voll Zuneigung. Sprache und Klang machen das Individuum einmalig und unverwechselbar und sind das Menschlichste an ihm.
Marica Bodrožić wurde 1973 in Swib, in der Nähe von Split, geboren, das damals zu Jugoslawien gehörte und heute in Kroatien liegt. Ihre Eltern arbeiteten in Deutschland als Gastarbeiter und sie wuchs bei Großeltern, Tanten, Cousins und Cousinen auf. 1983 kam sie nach Deutschland, lernte hier ihre zweite Muttersprache, die ihr mittlerweile zur ersten geworden ist, ganz nebenbei wurde sie auch zu einer ersten Stimme in der deutschen Literatur. Alles, was sie an Philosophie, deutscher Literatur und Lyrik lernt und liest, verinnerlicht sie und bringt dieses Wissen, verwandelt in ihre individuelle Weltsicht, in ihren Büchern zum Klingen. Bisher sind bereits viele Erzähl- und Gedichtbände von ihr erschienen.
Aus "Mein weißer Frieden" liest Marica Bodrožić an diesem Abend. Sie "ist diejenige, die am Rand steht, die in Augenschein nimmt, was bis heute gewesen ist", was dem Konflikt zwischen Kroaten, Serben und Bosniern die Nahrung gab, Schuldzuweisungen verweigert sie. Sie fragt sich, was von einem Menschen bleibt an Unversehrtheit, nach einem solchen Krieg? In diesen Zeiten schleicht sich die Angst in die Sprache ein, wenn keiner mehr dem anderen traut, wenn Nachbarn plötzlich zu Kriegsgegnern werden, wenn der Mensch über die Sprache manipuliert wird und jede Seite die objektive Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, wenn der gemeinsame Fluss zur Grenze wird. Eine objektive Wahrheit der Masse gibt es nicht, es gibt nur eine individuelle, die jeder ganz für sich in sich selbst finden muss, dann kann er auch den anderen sehen, sehen als ebenbürtig, als wichtiges Teile in einem gemeinsamen Ganzen. 
Marica Bodrožić und Mirko Schwanitz in Hoyerswerda im Rahmen der "GrenzgängeR-Gespräche" der Robert-Bosch-Stiftung.Immer, wenn sie an ihre zahlreichen Verwandten in Kroatien denkt, denkt sie auch an die leuchtende Sonne des Südens, und daran, dass der weiße Frieden der Sommerluft schön und leicht macht. Sie weiß aber auch um die Männer, denen sie auf der Promenade von Split begegnet, die alle in den 90ern eine Waffe in der Hand hatten und sich, wie sie sagen verteidigt und dabei Leben ausgelöscht haben. Ihr Cousin Filip begeht nach dem Krieg Selbstmord. Was war er am Ende seiner Verzweiflung? Warum träumt sie von ihm? "Vielleicht, damit ich das Fragen nicht lasse, aber auf fertige Antworten verzichte, um in sie hineinzuleben." Ein beeindruckend kluges Buch.
Die Zuhörer dankten Marica Bodrožić herzlich für diesen Abend mit feinfühliger Dichtkunst, die tief berührt und wo die Sprache zum Friedenstifter unter den Völkern wird.

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