Dem Großvater hätte es gefallen

Rainer Gruß liest Strittmatter. 2015 beim Hoyerswerdaer KunstvereinRainer Gruß, Schauspieler am Deutsch-sorbischen Volkstheater Bautzen, gestaltet eine Matinee über den Schriftsteller Erwin Strittmatter (1912 - 1994) beim Hoyerswerdaer Kunstverein

Gefallen hätte es dem Großvater, dass der Enkel ein berühmter Mann geworden ist, dass die Geschichten seines Enkels aus berufenem Munde gelesen werden und dass der Enkelsohn mit dem Aufschreiben dieser Geschichten ein bisschen Abbitte tun will, dass er dem Sterbebett des Großvaters entlaufen ist. Doch immer der Reihe nach. 
Erwin Strittmatter wird 1912 in Spremberg geboren, in einer Zeit, die auch in der Provinz bereits vom Krieg überschattet ist, in der eine Schwester sehr kurz nach ihm zur Welt kommt und die Zeiten für Säuglinge nicht so rosig sind wie heute. Das Kind wird ernsthaft krank, obwohl es sich bereits in den ersten Momenten des Lebens "so umgesehen hatte, als ob es die Welt schon kennte." Großvater Kulka schreitet ein und päppelt das Kind hoch. Daran wird der Großvater erinnern, solange er lebt. 
Der leibliche Vater ist Soldat, der Krieg allerdings findet "irgendwo hinter Berlin" statt und das Kind kennt den Vater nicht, um so mehr liebt es den Großvater und bewundert seine Autorität. So entsteht die Erzählung "Wie ich meinen Großvater kennen lernte" ganz im Stil Strittmatters, der die "Poesie des Kindheitssommers" in allen seinen Dichtungen aufleben lässt und dem Anschauen und Rückschauen als Eingebung genügt. Der Großvater kann in jeder Lebenslage das Notwendige verdienen. Als "Rumgeher" mit einem Karren kauft und verkauft er Dinge, die gerade gebraucht werden und schmeichelt den Frauen, was dem Verkauf zum Beispiel von Nesselschürzen äußerst dienlich ist. Er bewacht die Äpfel der Alleebäume mit einem Fernglas, Sanktionen bei versuchtem Diebstahl wandern in seine Tasche, ist ja schließlich seine Geschäftsidee. Stichlinge müssen beim Balzen um die Weibchen gefangen werden, denn nur dann erscheinen sie in großen Schwärmen und sind unaufmerksam, später stehen sie als Fischsülze auf der kargen Tafel der Familie. Mittelpunkt der Familie aber ist ein Raum in einem Kotten, gleichzeitig Wohnraum, Nähstube und Kurzwarenhandel der Mutter und Spielplatz für die Kinder, ein Raum, der die große Welt widerspiegelt. Kommt ein Soldat auf Fronturlaub, lassen die Frauen rosa Blusen mit Schleifen nähen und brauchen Korsettstäbchen, kommt die Nachricht "gefallen", muss umgefärbt werden und Korsettstäbchen werden nicht mehr gebraucht. Neue Stoffe gibt es nur auf Bezugsschein, Stecknadeln sind rar, sie werden für Kanonen verwendet. 
Die Mutter erzieht ihre Kinder mit drei wichtigen Postulaten: Du sollst nicht lügen, du sollst nicht stehlen, du sollst sparen! Das mit Großvater "verdiente" Geld aus den Apfeldiebstählen wandert deshalb in den Schlitz der blechernen Sparwindmühle, und siehe, die Flügel drehen sich. Als Jahre später der Großvater in einem langen Sterben liegt, kommt der Enkel nur kurz zu Besuch und ist vor Angst starr, hält es nicht aus und geht. Das verzeiht er sich selbst nie und so schreibt er alle guten und weniger guten Geschichten um den Großvater liebevoll auf, auch, dass dieser im Geschichten erzählen ein ganz Großer war. Große Bühne bot auch Rainer Gruß, der diese Erzählung und einige andere so vortrug, dass sie noch lange im Gedächtnis bleiben werden.

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